Ralf Jörg Raber:
"Beliebt bei älteren Damen und jüngeren Herrn".

Paul O'Montis — Biografie eines Vortragskünstlers,
Berlin: Metropol Verlag 2021, 270 S., € 22
 

sorry, no cover

 

Rezension von Martin Sölle, Köln

Erschienen in Invertito 23 (2021)

Ralf Jörg Raber hat eine umfangreiche Biographie des Vortragskünstlers und Schlagersängers Paul O'Montis (1894–1940), der in den 1920er Jahren zu den Stars der deutschsprachigen Kabarett– und Kleinkunstszene gehörte, vorgelegt. Die größten europäischen Schallplattenfirmen hatten ihn unter Vertrag, seine Schlager und Chansons liefen, auch live, im Radio. Er tourte durch halb Europa, verzauberte sein Publikum in den Metropolen ebenso wie in der Provinz. Er gehörte zu den Ersten, die dank Mikrofontechnik den popmusikalischen Liedvortrag modernisierten und den Tabus Homosexualität, sexuelle Diversität und Genderthematik in der kommerziellen Unterhaltungsmusik einen ersten Ausdruck verliehen. Diese Nutzung der neuen Technik führte zu einer für die damalige Zeit ungeheuren Popularität, die seinen Ruhm begründete. Dies spiegelt sich auch im bewegten Leben Paul O'Montis' wider, der von Ort zu Ort, von Aufführung zu Aufführung zog.

O'Montis wurde als Paul Wendel in eine deutschsprachige Familie im Jahr 1894 in der später zu Budapest gehörenden Kleinstadt Újpest geboren. Nach dem frühen Tod des Vaters kam er durch die zweite Ehe seiner Mutter 1901 nach Riga. Sein Stiefvater Carl Oberg betrieb dort eine Musikalienhandlung, dadurch wurde sein musikalisches Talent erweckt und gefördert. Bereits als Schüler war er gern auf der Bühne und zeigte dort großes schauspielerisches Talent. Nach den Wirren des Ersten Weltkriegs kam er 1918 nach Berlin und schrieb ein Operettenlibretto: Das blaue Mieder. Auch als Film– und Buchillustrator kamen seine vielseitigen Talente zur Geltung. Zu erwähnen sind die Kriminalromane Der Detektiv und die Tänzerin und Enigma, an denen er als Illustrator mitwirkte. Von den Filmen, an denen er als Ideengeber mitwirkte, sind leider keine Kopien erhalten. Seine große Karriere machte er aber als Kabarettist und Sänger, im Jahr 1926 war er ganz oben angelangt. Schon früh entdeckte er den 1923 entstehenden Rundfunk und seine Verbreitungsmöglichkeiten für sich. Dadurch fand er ein größeres Publikum als in den Konzertsälen.

Eine Karriere mit Auftritten an vielen Orten wie Königsberg, Riga und Berlin schloss sich an. Im Zuge seiner Konzertreisen kam O'Montis auch nach Köln und trat in dem noch heute existierenden Kaiserhof auf; dieser befand sich damals in der Salomonsgasse 11, sowohl vor als auch nach dem 30. Januar 1933.

Die Verfolgung des schwulen Lebens wurde O'Montis am 13. Dezember 1933 zum Verhängnis. Er wurde wegen § 175 in Köln verhaftet und in das Kölner Gefängnis Klingelpütz verbracht. Am 22. März 1934 wurde er zu einem Jahr und neun Monaten Gefängnis und drei Jahren Ehrverlust verurteilt, die er bis zum 21. September 1935 in Köln verbüßte. Die Akte mit den Aussagen und Beschuldigungen ist leider nicht mehr vorhanden. Aber eine (eingestellte) Nebenanklage wegen "Beleidigung der Reichsregierung u. Verächtlichmachung der nationalen Verbände" ist erhalten und genau dokumentiert.

Seine Karriere in Deutschland war mit der Strafverfolgung beendet, er ging in die Schweiz, später nach Österreich (mit Gastspielreisen in die Niederlande und nach Polen) und schließlich über Zagreb in die Tschechoslowakei. In der Schweiz und auch in Zagreb erhielt er Auftrittsverbote aufgrund seiner Homosexualität. Inzwischen hatten die Nationalsozialisten die "Rest–Tschechei" besetzt, und in Prag wurde O'Montis am 27. Juni 1939 wiederum verhaftet; die genauen Gründe sind nicht bekannt. Von dort wurde er am 30. Mai 1940 in das Konzentrationslager Sachsenhausen verschleppt und am 17. Juli 1940 ermordet.

Dieses Schicksal hat der Autor Ralf Jörg Raber mit großer Empathie nachgezeichnet und akribisch belegt. Raber hat zunächst begonnen, Schellack–Platten zu sammeln, und sich im Lauf der Zeit intensiv mit dem Thema "Homosexualität auf Schallplatte" beschäftigt. Wegweisend ist seine Veröffentlichung Wir sind wie wir sind. Ein Jahrhundert homosexuelle Liebe auf Schallplatte und CD aus dem Jahr 2010 (vgl. die Besprechung in Invertito 13, 2011, und den früheren Beitrag von Ralf Jörg Raber in Invertito 5, 2003).

Das Buch ist entsprechend der Biographie von Paul O'Montis chronologisch gegliedert und zeichnet sein Leben von Újpest über Riga bis nach Deutschland nach. Besondere Bedeutung kommt den technischen Neuheiten in der Musikbranche zu: Dem Rundfunk und der Schallplatte als Medien der Verbreitung sind eigene Kapitel gewidmet. Es schließt sich die Zeit der Emigration, der Verhaftung und Ermordung im Konzentrationslager an. Schließlich stellt Raber die leider kaum vorhandene Rezeption O'Montis' in der Nachkriegszeit dar. Mit Rabers Buch wird ein Stück Wiedergutmachung dafür geleistet.

Dem Autor ist mit diesem Buch eine umfangreiche biographische Studie gelungen, die in erster Linie das Leben und Schicksal von Paul O'Montis erzählt. Mit großem Fleiß geht Raber auf Quellensuche in unterschiedlichsten Archiven, Adressbüchern, Gerichtsakten und Musikzeitschriften. Er trägt so ein facettenreiches Bild von Paul O'Montis zusammen, berichtet aber auch vom Musikleben in der Zeit vor 1933, vom multikulturellen Leben und schließlich von der Willkür und Grausamkeit der Verfolgung homosexueller Männer vor und nach der Verschärfung des § 175 im Jahr 1935. Auch wenn ein Bezug Paul O'Montis' zur berühmten schwul–lesbischen Kultur der 1920er Jahre (Stichwort "Eldorado") nicht verbürgt ist, so war er doch eine wichtige Figur in der Unterhaltungskultur dieser Zeit, die mit schwulen Bezügen mehr oder weniger öffentlich jonglierte.

Ralf Jörg Raber schreibt im Stil nüchtern, aber doch anteilnehmend, im Detail sehr genau und nicht spekulativ, wo es keine klare Quellenlage gibt. Vor allem bleibt die Musik, die weiterlebt und die wir noch heute hören können. Im Buch kommt Paul O'Montis auch selber mit einem Bericht von einer Künstlerreise durch Lettland aus dem März 1930 zu Wort. Die Erinnerung an Paul O'Montis mit einem Stolperstein zu verorten konnte bis jetzt nicht realisiert werden, da es keine verbürgte Wohnadresse von ihm gibt. So ist mit diesem grundlegenden Werk ein Stück Erinnerung an einen großen Künstler geschaffen worden.

Das Buch ist nicht nur für Kenner der Musikszene dieser Zeit interessant, sondern liefert ein anschauliches Bild des blühenden Kulturlebens der Zeit vor 1933. Auch viele biographische Details wie das Grenzüberschreitende, was wir heute global nennen würden, wird deutlich. Gerade in diesem Punkt ist der Kahlschlag der Nationalsozialisten besonders schmerzhaft.

Obwohl O'Montis sich nicht als politischer Kabarettist verstand, nahm er mit einem Kaddisch, einem jüdischen Totengebet, im Programm Themen auf, die gegen den antisemitischen Zeitgeist standen. Die eigene Homosexualität wurde nur andeutungsweise thematisiert. Doch spielte er bereits 1927 mit den Geschlechterrollen in dem Lied Ich bin verrückt nach Hilde. So heißt es in einer Zeile: "Am schlimmsten aber war es bei Mariann' / Dann stellte sich heraus, das ist ein Mann, oh." Das Thema Homosexualität wurde also nicht laut öffentlich ausgesprochen, aber durch manche Untertöne des Sängers wurde klar, welche sexuelle Orientierung der Künstler selber hatte. Oder wie es Ralf Jörg Raber ausdrückt: "Wer Ohren hat zu hören, der hör(t)e."

Dankenswerterweise hat der Verlag in das Buch QR–Codes eingefügt, so dass die LeserInnen seine Musik auch hören können. So sind die erwähnten Lieder Ich bin verrückt nach Hilde und das Kaddisch über die QR–Codes verfügbar, was die LeserInnen zu HörerInnen macht.

 

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