Lara Ledwa
Mit schwulen Lesbengrüßen

Das Lesbische Aktionszentrum Westberlin (LAZ)
Gießen: Psychosozial–Verlag 2019, € 19,90
 

sorry, no cover

 

Rezension von Kirsten Plötz, Koblenz

Erschienen in Invertito 22 (2020)

Lara Ledwas Buch entstand aus einer Abschlussarbeit im Fach Gender Studies. Quellengrundlage ihrer diskurstheoretischen Analyse sind 36 Ordner des Berliner Lesbischen Aktionszentrums, die im Berliner Archiv Spinnboden aufbewahrt werden, das wiederum aus dem Lesbischen Aktionszentrum hervorging. Als Motivation für ihre Arbeit nennt die Autorin "das Gegenwärtighalten vergangener, aber immer noch anhaltender Geschichte/n und Bewegungen, das ich für unabdingbar halte" (S. 9). Ausdrücklich dankt sie den "zeitgenössischen Aktivistinnen und Vorreiterinnen für ihre wichtige Arbeit" (S. 9).

Lara Ledwa stellt die Geschichte des LAZ dar: In den Anfangsjahren der Frauengruppe der Homosexuellen Aktion Westberlin (HAWF) 1972/1973 war deren zentrales Ziel das Aufbrechen der Isolation lesbischer Frauen. Gegen die Isolation setzten die HAW–Frauen Vernetzung und Öffentlichkeitsarbeit ein. So wirkten sie an zwei 1973 und 1974 gesendeten Fernseh–Dokumentationen mit, den ersten Fernsehbeiträgen, in denen lesbische Frauen über Diskriminierung sprachen. Damals beschrieben sie sich oftmals als schwule Frauen. 1973 bezog die HAWF eigene Räume. 1975 nannte sich die Gruppe Lesbisches Aktionszentrum (LAZ). Ab 1974 organisierte das LAZ einige Jahre lang das bundesweite Lesbenpfingsttreffen (heute: Lesbenfrühlingstreffen). Zwischen 1975 und 1982 erstellte das Kollektiv des LAZ die Zeitschrift Lesbenpresse. 1973 und 1974 protestierten die HAW–Frauen auch gegen die Kriminalisierung lesbischer Liebe im Zusammenhang mit der Berichterstattung der Bild–Zeitung über einen Prozess im holsteinischen Itzehoe. Von der Berliner Frauengruppe ging der erste öffentliche Protest gegen diese Berichterstattung aus. Inhaltliche Ansätze diverser Arbeitsgruppen, die in und aus dem LAZ entstanden, sind Lara Ledwa zufolge bis heute in der Struktur von "lesbischen_queeren_feministischen Communities" (S. 131) verankert, z. B. Lesbenalltag, Feminismus, Archiv oder Beratungsstellen. Die Vernetzung durch verschiedene Strategien "lässt sich als eine nachhaltige und vielleicht sogar die wichtigste Methode zum Aufbau, zur Organisation und zur weiteren Existenz lesbischer und feministischer Gruppen in den 1970er Jahren festhalten, bei der die HAWF/LAZ Pionierinnenarbeit leistete" (S. 107). Die Auflösung des Zentrums 1982 könne als Erfolg verstanden werden, da "die Projekte ihm entwachsen waren und in anderen Formen, an anderen Orten selbständig weiterexistierten" (S. 134).

In fünf Kapiteln geht Lara Ledwa verschiedenen Entwicklungen und Debatten des LAZ und dessen Vorgängerin, der HAWF, nach. Eine der Forschungsthesen lautet, die Lesbenbewegung habe sich als schwul angesehen, bevor sie feministisch wurde. Lara Ledwa zeichnet nach, wie sich durch nicht gelungene Repräsentationen lesbischer Mitarbeit und Anliegen in der Schwulen– und in der Frauenbewegung der lesbische Separatismus durchsetzte. Eine weitere These lautet, das LAZ habe maßgeblich der bundesdeutschen Emanzipationsbewegung von Lesben* und Frauen* den Weg geebnet. Für Westberlin zitiert Lara Ledwa einige Papiere, aus denen diese Einschätzung hervorgeht. Auch beantworteten die Frauen der HAW bzw. des LAZ in den 1970er Jahren hunderte Briefe aus verschiedenen Teilen der Republik, vermittelten regionale Adressen und regten in ihren Antworten an, überall lesbische Aktionsgruppen zu gründen.

Zweifellos ist es erfreulich, dass sich junge Frauen – Lara Ledwa ist 1990 geboren – für lesbische Geschichte interessieren und darüber forschen. Es ist wichtig, die eigene Bewegungsgeschichte aufzuspüren und für gegenwärtige politische Arbeit zu nutzen. Mehr noch, Lara Ledwa hebt wiederholt hervor, wie bedeutend die Arbeit der Pionierinnen der HAWF und des LAZ war. Ihre eigene Forschungsperspektive beschreibt sie als wertschätzenden Ansatz (S. 15) und als "Stimme einer lesbisch_queeren ‚nicht dabeigewesenen‘ Generation" (S. 9). Im Fazit formuliert sie die Hoffnung, dass sie sowohl lesbische als auch queere Positionen stärken und diese miteinander verbinden konnte (S. 139).

In den 1970er Jahren hätte dies als solidarische Kritik gegolten. So betont denn auch die Autorin in einem späteren Kommentar: "Um stetig lernen zu können und weiterzukommen, sehen wir es als hilfreich an, Bewegungen und deren Geschichten zu reflektieren und auf eventuelle Ausschlüsse oder diskriminierende Praxen hinzuweisen. Kritische Selbstreflexion ist für solidarische Bündnisse unabdingbar – und sollte stetig in den eigenen Reihen stattfinden und gern auch durch wissenschaftliche Arbeiten angeregt werden."[1]

Damit antwortete Lara Ledwa auf Widerstand, auf den das Buch stieß. Gegen die Verwendung des früheren kämpferischen Symbols auf der Titelseite erwirkten einige Frauen des LAZ eine Unterlassungserklärung: Mit der Verwendung des Symbols würden ihre Urheberrechte verletzt. Die Klägerinnen fordern die Einstellung des Buchvertriebs. Bereits zuvor hatten sich ehemalige LAZ–Aktivistinnen von Lara Ledwas Forschung distanziert.

Es scheint, als gehe der Streit um die Deutungshoheit über die Geschichte des LAZ. Zu Recht fragt die Journalistin Stephanie Kuhnen daher in diesem Zusammenhang: "Es muss auch selbstkritisch gefragt werden: Wem gehört lesbische Sichtbarkeit?"[2]

Negativ fallen Lara Ledwa in den Quellen Transfeindlichkeit, Klassismus, struktureller Rassismus und Abwertung von Bisexualität auf. Zwar ist die Quellenbasis teilweise eher schmal und die Quellenkritik wäre ausbaufähig, aber Transfeindlichkeit, Klassismus und Abwertung von Bisexualität sind dennoch abzulesen.

Wünschenswert wäre allerdings, dies stärker zu kontextualisieren. Immerhin bestanden HAWF bzw. LAZ letztlich aus einer nicht allzu großen Gruppe von Frauen, die den Mut hatten, eine positive lesbische Identität zu bilden – in einem gesellschaftlichen Umfeld, das gegenüber lesbischer Liebe ausdrücklich feindlich gesonnen war, falls das Lesbische nicht vollständig ignoriert wurde. Selbst in der Schwulen– wie auch der Frauenbewegung waren lesbische Frauen mit eigenen Anliegen eher unsichtbar. Die Frauengruppe der HAW bzw. das LAZ konnte auf wenig zurückgreifen; lesbische Geschichte war nicht tradiert, Überlegungen zu lesbischer Politik und Philosophie entstanden erst. Eine positive lesbische Identität sozusagen zu erfinden, muss mit großen Mühen und erheblichen Suchbewegungen verbunden gewesen sein. Es ist nicht überraschend, dass zunächst das Einende gesucht und behauptet wurde und dass Diversität nicht im Fokus war. Ähnlich lässt es sich auch an der Frauenbewegung ablesen. Diese Zusammenhänge fehlen in Lara Ledwas Untersuchung.

Auch findet die lange Geschichte der Ablehnung von weiblicher Bisexualität keine Erwähnung; eine Ablehnung, die auch mit der Frustration von Frauen zu tun hatte, die Verbindungen mit Ehefrauen eingegangen waren, die wiederum oftmals ihre Ehe gar nicht oder nur mit großen Verlusten hinter sich lassen konnten und sich letztlich für die Ehe entschieden.

Zudem wird dort nicht deutlich, ob sich einzelne Frauen oder die Gesamtgruppe abgrenzend äußerten bzw. handelten. So ist unklar, ob es einzelne Stimmen im LAZ waren, die sich z. B. konkret gegen die Mitarbeit einer Transfrau aussprachen, oder in welchem Prozess sich die gesamte Gruppe dagegen entschied. Das zitierte Plenumsprotokoll von 1979 hebt Unsicherheit im Umgang mit der Transfrau hervor. Lara Ledwa führt zudem nur zwei abgrenzende Äußerungen an (S. 86). Ilse Kokula, die ebenfalls aus dem LAZ kam, schrieb 1982, einige bisexuelle und Transfrauen seien immer schon in der HAWF und im LAZ gewesen; erst mit einem Bewusstwerdungsprozess über die Unterschiede hätten diese Frauen Verunsicherungen ausgelöst. Dies findet sich in Lara Ledwas Untersuchung jedoch nur in einer Fußnote (S. 87). Insgesamt kann Lara Ledwas Diskussion der Abgrenzungen der HAWF und des LAZ daher durchaus als Anklage missverstanden werden, auch wenn sie dies ausdrücklich nicht sein soll.

Ihr Anliegen ist vielmehr, die Gleichzeitigkeit der Notwendigkeit der Formulierung einer lesbischen Identität und der Gefahr einer Essenzialisierung verständlich zu machen. Die Notwendigkeit, lesbische Identität zu formulieren, wird jedoch nicht recht deutlich. Es bleibt weitgehend unausgesprochen, aus welcher Situation die HAWF so unbedingt ausbrechen wollte und wie undenkbar ein bundesweites Treffen schwuler Frauen zuvor war. Hier fehlt historischer Kontext. Auch geht kaum ein Blick über Berlin hinaus. Letztlich ist aus der Studie schwer nachvollziehbar, wie die Briefe der HAWF bzw. des LAZ die Lesbenbewegung in der Bundesrepublik initiiert haben könnten. Doch ist auch zu bedenken, dass dies fast genügend Stoff für eine Dissertation wäre, während die vorgelegte Studie "nur" eine Abschlussarbeit ist.

Alles in allem legt Lara Ledwa ein lesenswertes und anregendes Buch vor, das mit großem Engagement geschrieben wurde. Die Autorin hat nicht nur viele Ordner und Schriften durchgearbeitet und gebündelt, sondern auch einen wichtigen Beitrag dazu geleistet, die Pionierinnen der Lesbenbewegung zu würdigen. Ihrer Hoffnung, dass lesbische und queere Positionen gestärkt und verbunden werden können, schließe ich mich an.

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[1] Ledwa, Lara / Voß, Heinz–Jürgen: Streit um historisches Logo: Wem gehört der lesbische Aktivismus?, auf: https://www.queer.de/detail.php?article_id=35671, letzter Zugriff: 1.10.2020.

[2] Kuhnen, Stephanie: Zündstoffe. Queere Positionen und Kritik, in: Siegessäule April 2020, S. 14.