Emily K. Hobson
Lavender and Red

Liberation and Solidarity in the Gay and Lesbian Left
Oakland, California: University of California Press 2016, 336 S., $ 29,95
 

sorry, no cover

 

Rezension von Christian Klesse, Manchester

Erschienen in Invertito 22 (2020)

Emily K. Hobsons Studie, die den Aktivismus der lesbischen und schwulen Linken in der San Francisco Bay Area in den Jahren von 1969 bis 1991 untersucht, ist ein Meilenstein der geschichtswissenschaftlichen Dokumentation und Analyse radikaler sozialer Bewegungen. Auf Grundlage von Archivforschung und Interviews mit Aktivist*innen erzählt Hobson die Geschichte zahlreicher Kampagnen und Kämpfe, die über die Jahrzehnte hinweg von lesbisch–schwulen Gruppierungen in San Francisco, Oakland und Berkeley initiiert und getragen wurden. Dabei zeichnet sie die Entwicklung eines dynamischen und schlagkräftigen dezidiert linken lesbisch–schwulen Aktivismus nach. Inspiriert durch die globale Studierendenrevolte von 1968, artikulierte sich dieser zuerst in der schlagartigen Mobilisierung von Gay–Liberation–Aktivist*innen. Er erschöpfte sich jedoch bei weitem nicht darin. Vielmehr gelang es den Aktivist*innen durch ihr politisches Wirken über Jahrzehnte hinweg, die inhaltlichen und organisatorischen Grundlagen für soziale Kämpfe in vielfältigen Bereichen zu legen. Ihre Schwerpunkte lagen insbesondere auf der Solidarität mit zentralamerikanischen revolutionären Bewegungen, der Antikriegspolitik, HIV/Aids und der Abwehr politischer Repression von Seiten der sogenannten "Neuen Rechten".

Hobson zufolge waren Antimilitarismus, Antiimperialismus und Antirassismus Kernelemente einer gegenkulturellen politischen Bewegung, die sich über Fragen der Geschlechter– und Sexualitätspolitik hinaus an Debatten der Neuen Linken orientierte. Weitere wichtige Einflüsse seien Black Power (insbesondere die Black Panther Party for Self–Defence) und die antikolonialen Kämpfe der sogenannten Dritten–Welt–Linken (Third World Left) gewesen.

Lesbian and gay (lesbisch und schwul) seien die dominanten Identitätskategorien im behandelten Zeitraum gewesen, auch wenn Referenzen zu Bisexualität und Trans* über die Jahrzehnte hin zumindest nominell an Bedeutung gewonnen hätten. Am Ende des Werkes behandelt Hobson das Umschlagen linker Bewegungspolitiken in einen neuen queeren Aktivismus. Hobson dokumentiert hier auch die Entstehung eines Queer of Color–Aktivismus Schwarzer, asiatischer, lateinamerikanischer und anderer (auch gemischt–ethnischer) Diasporagruppierungen. Oftmals hätten diese für bestimmte Aktionen und Kampagnen mit den mehrheitlich weißen lesbisch–schwulen linken Organisationen kooperiert. Vor allem hinsichtlich der Solidaritätspolitik mit zentralamerikanischen Befreiungsbewegungen sei lesbisch–schwule Politik in dieser Periode durch ihr Bemühen um die Schaffung grenzübergreifender Diskussions– und Organisationsstrukturen auch transnational gewesen. Darüber hinaus wird Homophobie in der Linken mehrfach im Text thematisiert.

Für die lesbisch–schwule Linke seien Ideen der sexuellen Befreiung auf das Engste mit einer Politik der Solidarität verbunden gewesen. Solidarität sei der Schlüsselbegriff gewesen, der antikapitalistische lesbisch–schwule Politik mit Antirassismus, Antimilitarismus und Antiimperialismus verknüpft habe. Heterosexismus sei als Bestandteil verschiedener miteinander verbundener Machtkomplexe gedeutet worden, eine Sichtweise, durch welche nichtheterosexuelle Identitäten weit über Fragen des Begehrens und der sexuellen Erfahrung hinausgehend grundlegend politisiert worden seien.

Hobsons Studie ist chronologisch angelegt und versucht aufzuzeigen, wie bestimmte Bewegungszyklen die Politikansätze in späteren Phasen und zu anderen Themen beeinflussten. Durch eine Betonung der Kontinuität radikaler lesbisch–schwuler Organisierung versucht sie einer Geschichtsschreibung entgegenzuwirken, die die Militanz von Stonewall oder ACT UP als Ausnahmephänomene US–amerikanischer lesbisch–schwuler Politik darstelle. Die im dominanten Geschichtsdiskurs übliche Fokussierung auf die Stonewall Riots als isoliertes Phänomen der Militanz und deren Interpretation als ein vermeintliches Strohfeuer der Bewegung tendierten auch dazu, von der Repression und Polizeigewalt abzulenken, die viele der von ihr beschriebenen antikapitalistischen, antirassistischen und antiimperialistischen Bewegungen und Kampfzyklen erstickt habe. Hobson ist der Meinung, ein Wahrnehmen dieser sozialen Kämpfe könne auch dazu beitragen, weitere Gewissheiten innerhalb der dominanten Erzählung lesbisch–schwuler Geschichte ins Wanken zu bringen, insbesondere die Annahme, lesbisch–schwule Politik der 1970er und 1980er Jahre habe vor allem auf essentialistischen und statisch–eindimensionalen Identitätskategorien beruht. Die internationale Bündnispolitik und die Herausarbeitung antikapitalistischer Positionen, die sowohl antiimperialistisch, antirassistisch, antisexistisch waren als auch auf lesbisch–schwule Befreiung abzielten, demonstriere ein dynamisches Politikverständnis. In diesem sei die Verflechtung von Sexualität mit Geschlecht, Ethnizität/race, Klasse und Nation stets mitgedacht worden. Im allgemeinen Geschichtsbewusstsein dominieren heute die Narrative des Separatismus und des (bürgerrechtlichen) Liberalismus. Hobsons Studie zeigt jedoch, wie viele Post–Stonewall–Radikale Koalitionen zu komplexen Mehrfachthemen eingingen und sich der Bildung einer revolutionären linken Bewegung widmeten.

Das Werk besteht aus einer Einleitung, sechs Kapiteln, die sich an spezifischen Politikfeldern orientieren, sowie einem kurzen Epilog. Die Kapitel dokumentieren die wichtigsten Aktionen, Kampagnen und Orte und zeichnen ein Bild einer komplexen politischen Landschaft, die von einem weiten Netz größerer und kleinerer Gruppen geprägt war, die in Solidarität oder aber auch in Konflikten miteinander kooperierten. Hobson zeigt, wie einzelne langjährige Aktivist*innen ihre organisatorischen Erfahrungen in verschiedene soziale Konflikte und Politikfelder einbrachten. Darin habe sich eine Qualität der Kontinuität angedeutet, die gemeinschaftsfördernd gewirkt habe, wobei viele lesbisch–schwule Linke die aktivistische Kultur zum Zentrum ihres Lebens gemacht hätten.

Das erste Kapitel widmet sich den grundlegenden Diskussionen innerhalb der sich Ende der 1960er Jahre auf den Grundlagen der homophilen Bewegung herauskristallisierenden Gay–Liberation–Gruppierungen (einschließlich der San Francisco Gay Liberation Front). Der oft verwendete Begriff des gay ghettos lege nahe, Lesben und Schwule teilten die Erfahrungen Schwarzer Menschen im städtischen Raum. In ihm manifestiere sich eine Kritik der polizeilichen Gewalt und Kontrolle und der Ausbeutung durch überhöhte Mieten und schlecht bezahlte Jobs (oft in gay bars oder anderen Teilen der pink economy). Das Wort Ghetto habe für die Eingrenzung lesbisch–schwulen Lebens in einer letztendlich feindlichen Umgebung und den Ausschluss von der vollen Teilnahme am öffentlichen Leben gestanden. Impulse zu einer antiimperialistischen und antirassistischen Ausrichtung der linken Strömungen innerhalb der Gay Liberation seien (unter anderem) aus dem Widerstand gegen den Vietnamkrieg und dem Aktivismus der Black Panther Party for Self–Defense gekommen. Letztere habe durch die 1970 abgehaltene Black Panther Party’s Revolutionary People’s Constitutional Convention (RPCC) versucht, progressive Bewegungen (einschließlich der Gay Liberation) in antisystemische und antirassistische Kämpfe einzubinden. Eher nationalistische Impulse und somit ein Mangel an kritischer Distanz zu weißem Siedler*innen–Kolonialismus hätten sich hingegen in der Kampagne für ein (vornehmlich) lesbisch–schwules Siedlungsprojekt im kalifornischen Alpine County in den Jahren 1970 und 1971 offenbart.

Kapitel 2 beschreibt die militante Kultur eines antiimperialistischen lesbischen Feminismus in der San Francisco Bay Area. Organisierte Gruppen und ein Netzwerk von Wohngemeinschaften und kommunalen Projekten unterstützten über viele Jahre hinweg Susan Saxe, die aufgrund bewaffneter Aktionen zur Unterstützung der Bewegung gegen den Vietnamkrieg und der Black Panther Party untergetaucht war. Hobson beschreibt eine weitverbreitete Strategie des kollektiven Widerstandes (collective defense), die auf dem Konsens beruht habe, nicht mit den Unterdrückungsapparaten des Staates zu kooperieren und – bis hin zum Mittel des bewaffneten Kampfes – diejenigen zu unterstützen, die sich (als Teil ihrer Betätigung im underground) der Staatsrepression ausgesetzt sahen. Die Kritik an Polizeigewalt sei auch eine Antwort auf die jahrzehntelange Repression insbesondere gegen Frauen gewesen, die sich durch gender–nichtkonformes Verhalten auszeichneten, sowie auch gegen Trans*Personen. Ferner hätten sich viele (einschließlich vieler weißer Aktivist*innen) an Aktionen zur Unterstützung der größtenteils kriminalisierten Schwarzen Befreiungsbewegung und der Antikriegsbewegung beteiligt. Linke lesbisch–feministische Bewegungen hätten auch eine Kampagne gegen die Kriminalisierung von Joan Little und Inez Garcia getragen, die sich gewalttätig gegen ihre Vergewaltiger zur Wehr gesetzt hatten und die wie Susan Saxe als politische Verfolgte betrachtet wurden.

Im dritten Kapitel werden die Kämpfe von Mitter der 1970er Jahre betrachtet, die sich auf internationale Solidaritätsarbeit bezogen. Diese galt insbesondere Chile vor und nach dem Putsch von General Augusto Pinochet gegen Salvador Allende sowie auch dem postrevolutionären Kuba, auch wenn Teile der kubanischen Solidaritätsbewegung, wie die Venceremos Brigades, Homosexualität als bourgeois–kapitalistische Perversion denunzierten. Ferner gab es Arbeitskämpfe gegen Diskriminierung lesbischer und schwuler Lehrer*innen und Aktionen gegen geschlechterbezogene Gewalt und Polizeirepression.

Das Kapitel behandelt auch den Widerstand gegen Anita Bryants 1977 aufgenommene "Save the Children"–Kampagne und den von John Briggs eingebrachten Gesetzentwurf Proposition 6, welcher einen Angriff auf lesbische oder schwule Lehrer*innen und diejenigen darstellte, die sich im Unterricht für geschlechtliche und sexuelle Vielfalt einsetzten. Hobson würdigt hier auch die unter vielen radikalen Schwulen häufige "Politik des Schwuchteltums" (politics of faggotry), die eine durch positive Bezugnahme auf den Feminismus geprägte performative und ideologische Ablehnung jeglicher patriarchalen Maskulinität darstellte.

Kapitel 4 und 5 konzentrieren sich auf die Solidaritätsarbeit mit revolutionären Bewegungen in Zentralamerika, insbesondere die Unterstützungsarbeit für die Sandinistische Revolution. In Kapitel 4 wird der kulturell diverse Aktivismus im Mission District dokumentiert. Dieser Stadtteil hatte sich aufgrund der hohen Zahl von Einwohner*innen chilenischer, puertorikanischer, kubanischer, salvadorianischer oder mexikanischer Herkunft zu einem Zentrum des transnationalen Aktivismus entwickelt. Im Kapitel werden unter anderem die Aktionen des Third World Gay Caucus, der Gay Latino Alliance, der Bay Area Gay Liberation und der Gay ­People for the Nicaraguan Revolution analysiert sowie die wichtigsten Zentren für die Zentralamerika–Solidarität beschrieben, wie das das Mission Center, das San Francisco Women’s Building und das Casa Nicaragua.

In Kapitel 5 wird die Diskussion über die Nicaragua–Solidarität fortgeführt und ein Schwerpunkt auf die Organisation von Besuchen durch Delegationen von Nicaragua–Solidaritätsbrigaden in den Jahren 1984 und 1985 gelegt. Die Mehrheit der 18–köpfigen Delegation der Gruppe Somos Hermanas (ein Ableger der Alliance Against Women’s Oppression, die sich aus der Third World Women’s Alliance entwickelt hatte), die 1984 eine Reise durchführte, waren Women of Color. Die Hälfte von ihnen identifizierte sich als lesbisch oder bisexuell. Somos Hermanas orientierte sich an einem Women–of–Color–Feminismus, der sich in Publikationen wie Cherríe Moragas Loving in the War Years (1983) oder dem von Cherríe Moraga und Gloria Anzaldúa herausgegebenen Band This Bridge Called my Back (1981) manifestierte. Die 1985 organisierte Nicaraguafahrt der Victoria Marcado Bridgade war in der Planungsphase ein Teil der antiimperialistischen Gruppe Lesbian and Gays Against Intervention. Eine organisatorische Trennung habe dann jedoch zu einer stärkeren Beteiligung und Kontrolle von People of Color geführt. Der zweite Teil des Kapitels konzentriert sich stärker auf die Zusammenarbeit nicaraguanischer Aktivist*innen mit den brigadistas/os und anderen lesbisch–schwulen US–amerikanischen Aktivist*innen, die sich in Nicaragua aufhielten. Im Kapitel werden die Strategien und Informationspolitiken erörtert, mit denen nicaraguanische Aktivist*innen diese Bündnispolitiken bewusst für sich gestalteten.

Kapitel 6 liefert eine detaillierte Schilderung des HIV/Aids–Aktivismus in der Bay Area seit 1984, welche belegt, dass sich die Militanz dieser Bewegung nicht auf die Aktionen von ACT UP beschränkte. Hobson widmet sich den Aktionen von Gruppen wie San Francisco Citizens for Medical Justice (CMJ), AIDS Action Pledge (AAP), ACT UP San Francisco, Stop AIDS Now Or Else (SANOE), Third World Aids Advisory Task Force und das Latino AIDS Project. Parolen wie "Money for AIDS, not War", "Fight AIDS, Not Nicaragua", "Quarantine the War Machine, not People with AIDS" oder "Health Care – not Contra Aid", die in diesen Jahren auf verschiedenen Protesten zu hören oder zu lesen waren, bezeugten, wie stark der HIV/Aids–Aktivismus dieser Jahre mit antiimperialistischen und antimilitaristischen Bewegungsidealen verknüpft gewesen sei. Erst am Ende der 1980er Jahre seien diese Inhalte in den Hintergrund getreten. Hobson erklärt dies mit dem Zusammenspiel verschiedener Faktoren, einschließlich dem Abwehrkampf gegen die erstarkende Rechte in den USA, der Orientierungslosigkeit der Linken nach dem Zusammenbruch des realexistierenden Sozialismus sowie dem massenhaften Sterben von Aktivist*innen aufgrund der Aids–Epidemie.

Hobson betont den aus der Aids–Krise resultierenden Generationenbruch, der zur Folge gehabt habe, dass nur wenige innerhalb der Welle eines neuen queeren militanten Aktivismus der frühen 1990er Jahre ein Bewusstsein über die Details und Inhalte vorhergehender Kämpfe und Bewegungszyklen gehabt hätten. Dieses fehlende historische Bewusstsein habe wiederum eine Dominanz von Erzählungen hinsichtlich der Genealogie queerer Politik ermöglicht, die sich kaum auf Antikapitalismus, Antirassismus, Antiimperialismus und komplexe Koalitionspolitiken beziehe.

Hobsons Studie erlaubt uns daher wichtige Einsichten in die Geschichte sozialer Bewegungen in Kalifornien und den USA. Gleichsam lenkt sie die Aufmerksamkeit auf die konkreten Herausforderungen lokaler und transnationaler Solidarität und lädt zur Wiederaufnahme einer Diskussion über die Rolle von Kapitalismus, Rassismus und Imperialismus in der Kontrolle von Sexualität und Geschlecht ein. Es handelt sich somit um ein rundheraus gelungenes Werk kritischer Geschichtswissenschaft.