David K. Johnson
Buying Gay

How Physique Entrepreneurs Sparked a Movement
New York: Columbia University Press, 2019 (Columbia Studies in the History of U.S. Capitalism), 328 S., $ 32
 

sorry, no cover

 

Rezension von Florian Freitag, Duisburg–Essen

Erschienen in Invertito 22 (2020)

Es ist sicherlich kein Zufall, dass Buying Gay exakt 50 Jahre nach den Stonewall–Unruhen erschienen ist – geht es dem Historiker David K. Johnson (University of South Florida) doch darum zu zeigen, dass es bereits lange vor den Aufständen in der New Yorker Christopher Street, die vielfach als Wendepunkt der US–amerikanischen Homosexuellenbewegung im Allgemeinen und im Besonderen als katalytisches Moment der Entwicklung eines schwulen Marktsegments gewertet wurden,[1] einen gay market gab, der es homosexuellen Männern sowohl in den urbanen als auch den eher ländlichen Gebieten der USA erlaubte, sich im Sinne des US–amerikanischen Politologen Benedict Anderson als Teil einer "imagined community" zu verstehen: den Zeitschriftenmarkt der sogenannten physique oder beefcake magazines nämlich. Diese versorgten über ihre Abonnentenlisten Leser im gesamten Land per Postversand zunächst vor allem mit Bildern sportlich gebauter und leicht bekleideter junger Männer, später auch mit Büchern und anderen speziell auf ihre Interessen zugeschnittenen Konsumgütern wie Kleidung oder Dekorationselementen, aber auch postalischen und persönlichen Kontakten zu anderen homosexuellen Männern. Zwar hat etwa die US–amerikanische Literaturwissenschaftlerin Alexandra Chasin in einer bezeichnenderweise Selling Out. The Gay and Lesbian Movement Goes to Market betitelten Studie bereits im Jahre 2000 auf die identitätsstiftende Rolle einer zunehmend kommerziell ausgerichteten Presse für homosexuelle Männer in den USA hingewiesen.[2] Eben dieses etablierte Forschungsnarrativ des "selling out" möchte Johnsons Studie über die Geschichte des beefcake–Genres von 1951 bis 1967 jedoch umkehren und zeigen, dass es vielmehr "the creation of a gay market, by and for gay people" gewesen sei, die "the emergence and success of a gay movement" gezeitigt habe (S. x).

Interessanterweise wählt Johnson in Buying Gay hierfür keinen von den Zeitschriftenstudien inspirierten Zugang, der sich in den letzten Jahren vor allem in den (amerikanistischen) Literatur– und Kulturwissenschaften wachsender Beliebtheit erfreut und der sowohl ZeitschriftenakteurInnen als auch –inhalte betrachtet.[3] Stattdessen nimmt er eine wirtschaftshistorische Perspektive ein, die den Fokus auf die jeweiligen Macher und ihr Geschäftsmodell legt. In diesem fungierten die Zeitschriften vor allem als Werbeplattformen für Fotografiestudios, die einige ihrer Werke kostenlos zum Abdruck zur Verfügung stellten und sich dadurch Kunden für weitere Einzelabzüge und Bilderserien zu gewinnen erhofften. Das zentrale wirtschaftliche Asset der Zeitschriften bestand somit in den selbst erstellten bzw. teilweise auch gekauften oder gemieteten Adresslisten von männlichen homosexuellen Kunden. Dementsprechend behandeln die insgesamt sechs Hauptkapitel von Buying Gay je eine Zeitschrift bzw. ein Unternehmen, das sich zumindest zeitweise der Produktion von beefcake magazines widmete: von Bob Mizers Physique Pictorial (1951), Edward Sagarins Cory Book Service (1952) sowie Randolph Bensons und John Bullocks Grecian Guild Pictorial (1955) zu Jack und Nirvana Zuidevelds Adonis Male Club (1959), Herman Lynn Womacks Guild Press (1957) sowie Lloyd Spinars und Conrad Germains Directory Services, Inc. (1963).

Die Entscheidung für eine solche Herangehensweise liegt sicherlich auch in der schwierigen Quellenlage begründet. Wie Johnson anmerkt, maß vor allem die frühe LGBT–Forschung beefcake magazines lediglich eine marginale Bedeutung für die politische Bewegung bei; folglich wurden solche primär kommerziell orientierten Presseerzeugnisse im Gegensatz zu den eher politischen bzw. aktivistischen homophile magazines auch nicht systematisch archiviert (S. viii). Digitalisierte, kostenpflichtige Privatarchive wie die Webseite timinvermont.com sowie einzelnen beefcake–Fotografen wie Lon of New York gewidmete Bildbände – durch die sich der kommerzielle Charakter dieses Zeitschriftengenres auch in seinem archivierten Nachleben erhält – können diesen Mangel an bibliographischer Aufarbeitung nur z. T. ausgleichen. Und so greift Johnson auch auf Selbstzeugnisse, Briefe und Interviews zurück, um die Geschichten der Menschen hinter dem enorm lukrativen Business, ihrer Motivationen und Strategien zu erzählen. Johnson zufolge existierten mehr als 20 solcher Magazine mit einer Auflage von je 20.000 bis 40.000 Exemplaren (S. ix).

Der schwierigen Quellenlage ist es sicher auch geschuldet, dass Johnson ansonsten nur selten konkretere Zahlen nennt. In der Tat haben bereits erschienene Rezensionen zu Recht darauf hingewiesen, dass es Buying Gay zuweilen nicht nur an terminologischer Schärfe, sondern auch an aussagekräftigen wirtschaftlichen Daten zum beefcake–Business mangelt.[4] Doch erlaubt es der Fokus auf wirtschaftliche Akteure Johnson auch, thematisch an sein vorheriges Werk The Lavender Scare. The Cold War Persecution of Gays and Lesbians in the Federal Government (2004) anzuschließen, eine preisgekrönte Studie über die Verfolgung Homosexueller durch die US–amerikanische Bundesregierung während der McCarthy–Ära. Denn die Geschäftsabwicklung über den U.S. Postal Service setzte sowohl die Produzenten als auch die Konsumenten von beefcake magazines und die mit ihnen verbundenen Versandhandelsanbietern der Zensur, den Einschüchterungstaktiken und der Verfolgung durch die Postbehörde aus, die das Recht hatte, den Versand von "obszönem" Material zu verweigern und zu unterbinden.

Insbesondere während der Amtszeit des republikanischen US–Postministers Arthur E. Summerfield (1953–1961), aber auch unter seinem demokratischen Nachfolger J. Edward Day (1961–1963) – also zur Blütezeit des Genres – setzte die Post so z. T. illegale Mittel wie Gespräche mit ArbeitgeberInnen von Konsumenten von beefcake–Material ein, um speziell homosexuelle Lehrer und Dozenten einzuschüchtern. In den Kapiteln zum Adonis Male Club und zur Guild Press geht Johnson auch detailliert auf die gerichtlichen Auseinandersetzungen vor dem U.S. Supreme Court in den Jahren 1962 (Manual v. Day) und 1967 (U.S. v. Spinar and Germain) ein, die einerseits das juristische Verständnis von "Obszönität" neu regelten und es den Produzenten von beefcake–Magazinen erlaubten, immer freizügigeres Material zu drucken und zu versenden, und die damit andererseits auch den Beitrag des kommerziellen gay market zur politischen Arbeit der Homosexuellenbewegung brennglasartig illustrieren.

Schließlich erlaubt es der Fokus auf Zeitschriftenakteure Johnson auch, die wissenschaftliche Debatte um das sogenannte Greek alibi weiter voranzutreiben, auch wenn seine Argumentation hier z. T. grob widersprüchlich anmutet. Spätestens seit Thomas Waughs Hard to Imagine (1996) wurden die zahlreichen Referenzen auf die griechische Antike in beefcake–Zeitschriften als eines mehrerer "Alibis" zur Umgehung der Zensur durch die Postbehörden gewertet.[5] Johnson unterstützt diese Argumentation einerseits, indem er mehrfach selbst den Begriff "Alibi" verwendet und behauptet, dass nach der U.S. v. Spinar and Germain–Entscheidung 1967 "the artistic, bodybuilding, and classical alibis that had been used to justify male nudity fell away" (S. 215). An anderer Stelle zeigt Johnson jedoch, dass dies gerade nicht der Fall war – "the use of the classical Greek trope [...] continued for decades, even when the need for an alibi had eroded if not disappeared" (S. 115) – und verweist in diesem Zusammenhang auch auf die spätestens seit dem Hellenismus des 19. Jahrhunderts etablierte Verbindung von Homosexualität und griechischer Antike (S. 84).

Vor allem jedoch zeigt Johnson in seinem Kapitel zum Grecian Guild Pictorial, sicherlich diejenige Zeitschrift, die sich am häufigsten und konsequentesten textueller und visueller hellenistischer Diskurse bediente, dass sowohl Macher als auch Rezipienten die klassische Antike ganz im Sinne einer "invented tradition" (Eric Hobsbawm & Terence Ranger) durchaus als identitätsstiftend begriffen: "Their invocation of ancient Greece was less a cover or alibi to hide behind than a way to signal to other likeminded men. To many of their gay readers, the name Grecian Guild was not a fig leaf to justify the illicit but a wink of the eye to signify a common desire" (S. 90). Ein detaillierterer Blick auf die genauen Inhalte des Magazins könnte hier weitere Erkenntnisse liefern. Insofern liefert Buying Gay nicht nur einen wichtigen Beitrag zur Entwicklung der LGBT–Bewegung in den USA, indem es die Rolle kommerzieller Produkte und kapitalistischer Praktiken zur Herausbildung einer schwulen Identität betont, sondern bietet – quasi nebenbei – auch spannende Anknüpfungspunkte für die Forschung zur Antikerezeption in der Neuen Welt.

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[1] Etwa: Faderman, Lillian / Timmons, Stuart: Gay L. A. A History of Sexual Outlaws, Power Politics, and Lipstick Lesbians, New York: Basic 2006, S. 232.

[2] Chasin, Alexandra: Selling Out. The Gay and Lesbian Movement Goes to Market, New York: St. Martin’s Press 2000, S. 91.

[3] Fagg, John / Pethers, Matthew / Vandome, Robin: Introduction. Networks and the Nineteenth–Century Periodical, in: American Periodicals 23 (2013), Heft 2, S. 93–104.

[4] Stern, Marc J.: Rezension von David K. Johnson: Buying Gay, in: Business History Review 93 (2019), Heft 3, S. 649–650.

[5] Waugh, Thomas: Hard to Imagine. Gay Male Eroticism in Photography and Film from Their Beginnings to Stonewall, New York: Columbia University Press 1996, S. 219–227.