Raimund Wolfert
Botho Laserstein

Anwalt und Publizist für ein neues Sexualstrafrecht
Berlin / Leipzig: Hentrich & Hentrich Verlag 2020, 152 S., € 14,90
 

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Rezension von Gottfried Lorenz, Hamburg

Erschienen in Invertito 22 (2020)

Ende der 1920er sowie zu Beginn der 1930er Jahre war Dr. Botho Laserstein in Berlin und während der ersten Hälfte der 1950er Jahre in Düsseldorf und unter homosexuellen Menschen, die sich nach dem Zweiten Weltkrieg in Gruppen zusammengefunden oder einschlägige Zeitschriften abonniert hatten, eine bekannte Persönlichkeit. Doch 65 Jahre nach seinem Tod ist Botho Laserstein weitgehend vergessen: 1990 veröffentlichte Herbert Hoven eine umfangreichere Monographie über ihn. In Bernd–Ulrich Hergemöllers 1998 herausgegebenem biographische Lexikon Mann für Mann umfasst die Biographie Lasersteins zweieinhalb Spalten; dasselbe ist in der erweiterten und ergänzten Neuausgabe dieses Werks (2010) der Fall. Der Rezensent widmete ihm 2005 einen umfangreicheren Beitrag, illustriert mit einer Porträtzeichnung von Rüdiger Trautsch und einer Zeichnung von Eberhard Brucks.

Mit seiner 2020 erschienenen Biographie will Raimund Wolfert den Juristen und Publizisten Botho Laserstein dem Vergessen entreißen oder zumindest als Wegbereiter einer Reform des Sexualstrafrechts würdigen. Grundlage seiner Arbeit sind zahlreiche Veröffentlichungen Lasersteins zwischen 1919 und 1955, ihn betreffende Archivalien in Basel, Berlin und Duisburg sowie der Spiegel–Artikel Die Mönche lehnten ab aus dem Jahr 1955.

Lasersteins Biographie ist die Geschichte eines begabten, zunächst rasch erfolgreichen, unangepassten, widersprüchlichen, heimatlos gewordenen, nach Anerkennung strebenden Mannes, der aus unterschiedlichen Gründen scheiterte und für den das Schicksal eine zynische Pointe bereithielt: die postmortale Zuerkennung einer beträchtlichen "Wiedergutmachungszahlung", die ihm eine Existenz nach seinen Vorstellungen und Neigungen ermöglicht hätte.

Raimund Wolfert zeichnet die Stationen dieses Lebens gut lesbar nach. Dabei geht er im Wesentlichen chronologisch vor: Die sechs ersten Kapitel betreffen Lasersteins Verwandtschaftsverhältnisse, seine Kindheit, Jugend, den beruflichen Werdegang und seine Haltung zu Pazifismus und Judentum (S. 5–53). Ein 20 Seiten umfassendes Kapitel (S. 54–74) ist Flucht und Exil gewidmet. Die folgenden drei Abschnitte (S. 75–118) beschäftigen sich mit Lasersteins Versuchen, in Westdeutschland beruflich Fuß zu fassen und "heimzukehren". Das abschließende Kapitel (S. 119–131) geht auf Tod und Nachleben ein. Das zwei Seiten umfassende Nachwort (S. 132–133) stammt von Botho Lasersteins 1953 geborenem Sohn Thomas Botho Hans Husemann–Laserstein, der damit auch Wolferts Arbeit autorisiert.

Zur Orientierung ein biographischer Überblick: Botho Curt Götz Laserstein wurde am 31. Juli 1901 in Chemnitz geboren. Kindheit, Jugend und frühe Erwachsenenzeit verlebte er in Berlin, wo er 1919 Abitur machte. Laserstein studierte Jura und bestand die beiden juristischen Staatsexamen im März 1923 bzw. im November 1926; unmittelbar danach wurde er zum Gerichtsassessor ernannt. Zum Dr. iur. war er 1925 promoviert worden. Nach der Zulassung als Rechtsanwalt (1928) ließ sich Laserstein als Anwalt in Berlin–Lichtenberg nieder. Im März 1927 heiratete Laserstein, und am 30. März 1929 wurde seine Tochter geboren (S. 8, 11, 13, 16, 18–19, 21–22).

Am 15. März 1933 flohen Laserstein, seine Frau und Tochter über die Tschechoslowakei nach Paris. Anfang März 1936 erfolgte seine Ausbürgerung. 1939 trat Laserstein zum Katholizismus über und ließ sich in Paris taufen (S. 55–56). Nach dem Einmarsch deutscher Truppen in Paris fand Laserstein in einer Benediktinerabtei im nicht besetzten Teil Frankreichs Zuflucht. Seine Frau und Tochter, die sich in einem anderen Ort versteckt hielten, wurden 1943 deportiert und in Auschwitz ermordet. Nach der deutschen Kapitulation in Frankreich blieb Laserstein in diesem Land und wurde 1947 französischer Staatsbürger (S. 65–66, 71–74).

Im Sommer 1951 erhielt Laserstein "probeweise und jederzeit widerruflich" eine Anstellung als Staatsanwalt in Düsseldorf. In dieser Funktion eckte er in Kollegenkreisen wegen mangelnder Professionalität, als provozierend empfundener öffentlicher Auftritte und seiner Publikationen oft an. Anfang 1955 wurde er zum 30. April desselben Jahres aus dem Justizdienst des Landes NRW entlassen. Am 9. März 1955 schied er selbstbestimmt aus dem Leben (S. 76–77, 84–85, 107–110, 119–121, 123).

Wolfert gibt zunächst einen kurzen Abriss der Geschichte der jüdischen Gemeinde in Chemnitz, geht danach auf die Familie Laserstein ein und verweist u. a. auf die entfernte Verwandtschaft mit Heinrich Heine, den Botho Laserstein zutiefst ablehnte und stattdessen Ludwig Börne den Vorzug gab (S. 5–12). Ausführlich beschäftigt sich Wolfert auch mit der Genealogie der Familie von Lasersteins Frau Ilse, geborene Chodziesner (S. 19–20). Das ist interessant, doch erschließt sich nicht, welche Bedeutung die Verwandtschaft seiner Frau mit Gertrud Kolmar, Walter und Georg Benjamin oder gar der angeheirateten Hilde Benjamin, der späteren Vizepräsidentin des Obersten Gerichts und Justizministerin der DDR, für Botho Laserstein hatte.

Drei Themenschwerpunkte bestimmten Lasersteins juristisches und publizistisches Wirken bis 1933: Pazifismus, Auseinandersetzung mit dem Judentum und Reform des Sexualstrafrechts, wobei sich die Frage stellt, welche Aspekte dieser Themen ihn mehr interessierten – die juristischen oder die publizistischen. Wolfert betont, dass der Pazifismus schon für den Schüler Laserstein ein Anliegen gewesen sei. Später wurde er Mitglied der Deutschen Friedensgesellschaft. Als Rechtsanwalt vertrat er bis 1931 Karl Kraus in dessen juristischer Auseinandersetzung mit dem "Blutlyriker", d. h. dem Berliner Star–Kritiker Alfred Kerr, wegen dessen Kriegsgedichten. Allerdings löste sich Laserstein am Ende der Weimarer Republik und in der Emigration zunehmend von seinen pazifistischen Überzeugungen und vertrat schließlich eine Zeitlang leninistische Positionen von bewaffnete, Kampf und gerechten Kriegen (S. 13–17, 26–30, 33–35, 38–39, 63–64).

Laserstein wuchs als Mitglied der jüdischen Gemeinde auf und verstand sich zunächst bewusst als Jude. Doch kritisierte er schon als Abiturient, dass sich das Judentum nicht stärker für den Frieden eingesetzt habe. In der Folge verstärkte er publizistisch seine Kritik am Judentum, rief zu Kriegsdienstverweigerung auf und griff führende Mitglieder der jüdischen Gemeinde Berlin an. In seiner Broschüre über Ludwig Börne (1931) mit dem Untertitel Die Überwindung des Judentums akzeptierte er Börnes Übertritt zum Protestantismus, bezeichnete sich selbst aber noch als "aufrechten Juden". Zu Beginn der Emigration scheint er eine atheistische Phase durchlebt zu haben, bis er 1939 zum Katholizismus übertrat und diese Konversion nie bereut zu haben scheint, was Bemühungen in den 1950er Jahren belegen, in das Kloster Maria Laach einzutreten (S. 14f., 48–51, 63–64, 121–123).

Von seinem dritten Themenschwerpunkt der 1920er Jahre ist Laserstein im Unterschied zu Pazifismus und Judentum zeitlebens nie abgerückt: dem Engagement für eine Reform des § 175 (R)StGB. Nach seiner Rückkehr aus dem Exil nahm es sogar erheblich zu und äußerte sich u. a. in zahlreichen Artikeln in Hamburger Homosexuellenzeitschriften, in seiner Mitarbeit in der Hamburger Gesellschaft für Menschenrechte und in der 1954 veröffentlichten, 78 Seiten umfassenden, inhaltlich unsystematischen Publikation Strichjunge Karl: ein internationaler kriminalistischer Tatsachenbericht aus dem Reich der Liebe, die ihren Namen nicht nennt (S. 23–24, 40–46, 91–94, 98–104, 115–118). Doch war dieses Engagement in sich widersprüchlich und unentschieden, zeigte keinerlei Sympathien für homosexuelle Männer und befand sich nie auf der Höhe des fortschrittlichen wissenschaftlichen Diskurses.

Waren es in der Weimarer Republik die Strichjungen, die Laserstein vor Verführung durch die Freier schützen wollte und infolgedessen eine Freierbestrafung forderte, waren es in Lasersteins Düsseldorfer Zeit in den 1950er Jahren die Stricher, denen seine Verachtung und sein Kampf galten und für die er u. a. Arbeitslager und Prügelstrafe empfahl (S. 43–46, 100, 103, 117).

Fast wichtiger als eine Reform des § 175 scheint für Laserstein der Kampf gegen Erpressung und – zu Beginn der 1950er Jahre – gegen die Wiedereinführung der Todesstrafe in Westdeutschland gewesen zu sein (S. 91, 94, 96–98, 100, 107).

Mehrfach geht Wolfert auf die Frage nach Lasersteins sexueller und geschlechtlicher Identität ein, ohne sie beantworten zu können. Während sich Laserstein selbst als "normalgeschlechtlichen Juristen" bezeichnete (S. 94), sehen sein 1953 geborener unehelicher Sohn und der 1942 geborene uneheliche Sohn seiner Frau in Laserstein einen Homosexuellen, ohne dass sie ihn je kennen gelernt hätten (S. 42). Menschen, die Laserstein kannten, bestritten eine homosexuelle oder bisexuelle Veranlagung (S. 42–43). Das Verhältnis zu Wolfgang Furcht, den Laserstein adoptieren wollte, lässt viele Deutungen zu. Und kaum Verlässliches ist bekannt über die Verbindung zwischen dem Vorbild für den "Strichjungen Karl" und Laserstein (S. 101, 127–128).

Mein Beitrag über Botho Laserstein aus dem Jahr 2005 schließt zusammenfassend: "Gescheitert ist Laserstein an seinem Nonkonformismus, an dem Unverständnis der Düsseldorfer Justiz für das Lebensschicksal dieses Mannes, der sich von der neuen deutschen Justiz wie von der NS–Justiz verfolgt sah, und an der Homophobie der Adenauer–Zeit".[1] Nach der Lektüre von Wolferts Arbeit füge ich hinzu: "sowie an sich selbst".

Zweifellos war Laserstein ein begabter, intelligenter und vielseitig interessierter Mensch, der sich neben juristischen mit politischen, philosophischen, religiösen, sozialen und literarischen Themen beschäftigte. Seine Publikationen und Entwürfe belegen, dass er kein systematischer Arbeiter und kein seine Argumente und Sätze sorgfältig abwägender Publizist war, sondern nicht selten zu überzogener Polemik neigte, was selbst Wohlwollende vor den Kopf stieß. Schon Mitte der 1920er Jahre soll ihn ein führendes Mitglied der Berliner jüdischen Gemeinde als "Revolverjournalisten" bezeichnet haben (S. 51). Andere sahen ihn zur selben Zeit als schwierigen Partner und unsicheren Verbündeten (S. 29, 45–46).

Auffällig ist Lasersteins Unentschiedenheit bzw. seine Suche nach dem ihm gemäßen Weg: Was wollte er sein? Jurist? Publizist? Journalist? Sein Leben ist gekennzeichnet von Brüchen mit bisherigen Überzeugungen, vom Nebeneinander schwer vereinbarer Positionen – und dies schon weit vor 1933, also unabhängig von den Erfahrungen der Emigrationszeit.

Politisch führte ihn sein Weg vom Pazifismus bis zu dessen Ablehnung. Nach dem Krieg war er Mitglied der VVN und der Arbeitsgemeinschaft Demokratischer Juristen (ADJ), die vom Verfassungsschutz als kommunistisch infiltriert betrachtet wurden, lehnte das Grundgesetz ab, suchte aber gleichzeitig Hilfe bei Bundeskanzler Konrad Adenauer, dem Zentrumspolitiker Robert Amelunxen und bei Ernst Lemmer (CDU).

Bezeichnete er sich noch 1931 als "aufrechten Juden" (S. 52), zeigte ihn seine 1934 erschienene Veröffentlichung Justizmord av Catilina eher als Atheisten (S. 60–64). Fünf Jahre später war er Katholik (S. 64).

Was Laserstein zur Rückkehr nach Deutschland bewog, bleibt weitgehend unklar. Er war frankophon, arbeitete literarisch in französischer Sprache, hatte eine Lehrerstelle in Dijon und war seit 1947 französischer Staatsangehöriger. Dennoch setzte er alle Hebel in Bewegung, in Westdeutschland eine Stelle als Jurist im Staatsdienst zu erhalten, obwohl ihm Erfahrungen als Richter und Staatsanwalt fehlten. Seine Schwierigkeiten in Düsseldorf sind u. a. darauf zurückzuführen, dass er handwerkliche Fehler beging, sich im Ton vergriff und in Polemiken hart austeilte. Homophobie, Antisemitismus und Ablehnung von Remigranten taten ein Übriges.

Die Lebenswege von Käthe und Fritz Manasse, die 1949 nach Hamburg zurückkehrten, und von Fritz Valentin, der das schon 1946 getan hatte, belegen allerdings, dass von den Nationalsozialisten vertriebene Menschen im westdeutschen Nachkriegsjustizwesen haben Fuß fassen können – und dies sogar, wenn sie wie Fritz Valentin öffentlich für die Abschaffung der gegen gleichgeschlechtlich empfindende Männer gerichteten Rechtsnorm eintraten.

Ein solches Schicksal war Botho Laserstein nicht vergönnt. In Wolferts Buch sind Gründe hierfür ausführlich dargelegt. Mehr lässt sich über ihn schwerlich in Erfahrung bringen, wenn auch erstaunlich viel über ihn im Dunkeln bleibt.

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[1] Rosenkranz, Bernhard / Lorenz, Gottfried: Hamburg auf anderen Wegen. Die Geschichte des schwulen Lebens in der Hansestadt,Hamburg: Lambda Edition 2005, 78.