Julia Noah Munier:
Die Homophilenbewegung im deutschen Südwesten der 1950er und 1960er Jahre als Akteurin der Anerkennung

Übersicht des Beitrags

Julia Noah Muniers Beitrag rückt das Engagement homophiler Männer und die Herausbildung einer Homophilenbewegung im deutschen Südwesten der 1950er und 1960er Jahre in den Fokus. Den gesellschaftlichen Rahmen dieses Engagements bilden die auch nach 1945 weiterbestehende Strafandrohung und –verfolgung durch den § 175 StGB und eine weitreichende gesellschaftliche Stigmatisierung von homo– und bisexuellen Männern, die in Baden–Württemberg besonders schwerwiegend waren. Daher handelten die Aktivist_innen vielfach im Verborgenen oder hinter den Kulissen, ein Vorgehen, das Munier auch als "stille Diplomatie" beschreibt. Möglicherweise war diese für die einzelnen Akteur_innen so wichtige Handlungsstrategie — ihre vordergründige "Unsichtbarkeit" — ein Grund für ihre vermeintliche Erfolglosigkeit und ergo die weitgehende Ausklammerung der Bewegung in der wissenschaftlichen Forschung.

Diese Handlungsstrategie, die im Wesentlichen auf eine Abschaffung des § 175 StGB zielte, flankierte die öffentlichen Bemühungen liberaler Strafrechtler_innen der Zeit, insbesondere auch aus Baden–Württemberg, die sich im Zuge der Diskussion um die Große Strafrechtsreform für die Reform des Sexualstrafrechts einsetzten. Munier skizziert aus einer kulturwissenschaftlich geprägten historiographischen Perspektive und unter Rekurs auf das Konzept des "Gefüges" nach Deleuze und Guattari zudem unterschiedliche, auf gesellschaftliche wie individuelle Anerkennung zielende Facetten der bundesrepublikanischen Homophilenbewegung. Sie zeigt ihre Bedeutung auch jenseits der strafrechtlichen Bemühungen. Dabei folgt der Artikel in seinem Aufbau der Bedeutsamkeit kleinster sozialer Einheiten für die Anerkennung einer homophilen Identität, über Mikrokollektive und Abgrenzungsfiguren hin zu Netzwerken, Organisationen und ihren Handlungsstrategien im Bemühen um gesellschaftliche Emanzipation.




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