Claudia Weinschenk:
"Auch fühlte ich mich immer mehr zu meinem Geschlecht hingezogen"

Ein Forschungsprojekt zur Auffindbarkeit lesbischer Frauen in Psychiatrien während des Nationalsozialismus

Übersicht des Beitrags

Claudia Weinschenk stellt in ihrem ausführlichen Werkstattbericht erste Teilergeb­nis­se einer Studie über die Auffindbarkeit lesbischer Frauen in psychiatrischen Kli­ni­ken während der NS–Herrschaft im heutigen Baden–Württemberg vor. Die Hypothese, lesbische Frauen seien in der NS–Zeit unter dem Vorwurf der "Aso­zia­lität" in Psychiatrien verbracht worden, lässt sich zumindest für die badische Uni­versitätspsychiatrie Heidelberg nicht bestätigen, weil es keine entsprechenden Hin­weise in den Akten gibt. Es finden sich aber Spuren möglicherweise lesbischer Frauen.

Auffallend an den Akten der Universitätspsychiatrie Heidelberg ist, dass weibliche Homosexualität nur marginal offen angesprochen wurde. Inwiefern lesbische Frauen eben gerade wegen ihrer sexuellen Neigung oder Orientierung so auffällig geworden waren bzw. so sehr gegen gesellschaftliche Normen verstoßen hatten, dass ihre Umgebung sie als "nicht mehr tragbar" empfand und dann in die Psychiatrie verbrachte (wo sie eine gängige Diagnose ohne Bezug auf ihre Homosexualität erhielten) ließ sich aus den gesichteten Akten nicht erschließen. Die Behandlung erfolgte aufgrund der vergebenen psychiatrischen Diagnose, nicht um eine mögliche homosexuelle Neigung zu "heilen".

Auch für diese Frauen wurde unterschieden zwischen behandelbaren Frauen, die dann (teilweise unfruchtbar gemacht) als arbeitsfähig, also als nützlich für die nationalsozialistische Gesellschaft, aus der Klinik entlassen wurden, und den nicht behandelbaren Frauen, die als "unnützer Ballast" der Gesellschaft in Heil– und Pflegeanstalten, zumeist in die nahe Heidelberg befindliche Heil– und Pflegeanstalt Wiesloch, zur "Verwahrung" und möglichen Ermordung im Zuge der T4–Aktion verbracht wurden. Warum die Frauen, die möglicherweise lesbisch waren, deutlich länger in der Klinik verblieben als die Gesamtheit aller Frauen dieser drei Jahrgänge, konnte bisher nicht geklärt werden.

Wie die Spuren einzuordnen sind, was sie bedeuten, ob sie als tatsächliche Hinweise auf lesbische Lebensweisen interpretiert werden können, wird Claudia Weinschenk in ihrer ausführlichen Studie ergründen, für die nun und in den folgenden Jahren auch Akten der Universitätsklinik Tübingen und der beiden Heil– und Pflegeanstalten Stetten i. R. und Emmendingen gesichtet werden.




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