Martin Duberman:
Jews Queers Germans: a novel/history

New York: Seven Stories Press 2017, 352 S., $ 20
 

sorry, no cover

 

Rezension von Götz Wienold, Tokio

Erschienen in Invertito 20 (2018)

"Just look at that boy's buttocks! Maillol cheerfully shouts. He and Harry Kessler are standing on the rail of their ship, having arrived in Naples that same morning. Maillol can hardly believe the beauty of the youngsters, one of whom has lost his bathing suit diving for the coins that passengers are tossing from the deck" (S. 98). Der Bildhauer Aristide Maillol mit seinem Mäzen Harry Graf Kessler auf einer Schiffsreise nach Griechenland — so munter Lesen anstoßend: "Lies! Lies weiter!", beginnt der zweite Teil von insgesamt sieben des Buches, im Untertitel einer Gattung zwischen Roman und Geschichtsschreibung zugeordnet. Es ist weder das eine noch das andere, Geschichte nicht im Sinne einer Darstellung der Lebenszusammenhänge von homosexuellen Männern, Juden und Deutschen einer Epoche, der Zeit zwischen 1900 und der Mitte der dreißiger Jahre, noch gar eines Beitrags zur historischen Forschung. Das Buch hat keine Bibliographie, lediglich eine Dreiviertelseite mit Namen von Forschern, deren Arbeiten Duberman benutzt hat, es hat kein Register, kein Inhaltsverzeichnis und keine Fußnoten. Es ist im Wesentlichen ein erzählendes Referat bekannter Geschichte. Duberman hat keine neuen Quellen erschlossen oder Interpretationen von Quellen, die andere bearbeitet haben, umgestoßen. Romanhaft wirken zahlreiche, manchmal recht ausführliche Gespräche seiner Figuren, zumindest deren Ablauf im Einzelnen vom Autor erfunden. Die größere Masse bilden Berichte, die manchmal wie ein zusammenfassendes Referat gelesener Geschichte wirken.

Das Direkte der Gespräche macht das Buch jedoch nicht zu einem Roman im Sinne eines literarischen Werks. Ich illustriere es an der Beziehung Kesslers und Maillols, wie sie im einleitenden Zitat aufleuchtet. Einmal klagt Maillol Kessler, seine Frau sei so eifersüchtig, dass sie oft, wenn er Akte modelliere, an der Türe des Ateliers lausche und sogar eindringe. Dann klagt er wieder, er würde gern auch Männer darstellen, aber nur Frauen seien bereit, sich als Modelle für ihn ganz nackt auszuziehen. Kessler beredet daraufhin seinen jungen Geliebten und Freund Gaston Colin, Maillol nackt Modell zu stehen. Nicht genug an Motiven für einen Romancier, tiefer einzudringen in das, was sich zwischen den beiden Männern abspielt? Nichts davon. Verschenkt!

Zwei außerordentliches Aufsehen erregende Skandale um Homosexuelle — das sind in diesem Buch ausschließlich Männer — bilden den zeitlichen Rahmen. Das Buch führt von der Vertreibung Philipp zu Eulenburgs und eines von ihm dominierten homosexuellen Freundeskreises um Wilhelm II. durch Aktivitäten des Journalisten Maximilian Harden zu der von Hitler in Auftrag gegebenen Ermordung des homosexuellen Anführers der SA Ernst Röhm, lange Zeit tatkräftiger Unterstützer Hitlers, wie weiterer Homosexueller um Röhm. Nach John C. G. Röhl, der für seine dreibändige Biographie Wilhelms II. umfangreiches Quellenmaterial durchgearbeitet hat, ist aber nicht Harden der Hauptverantwortliche dafür, dass die Anschuldigungen gegen Eulenburg öffentlich wurden, sondern Reichskanzler Bernhard von Bülow, der selbst befürchten musste, als Homosexueller öffentlich denunziert zu werden. Das kommt bei Duberman nicht vor, Bülow bleibt bei ihm ganz im Hintergrund. Als historische Darstellung ist Röhl m. E. entschieden vorzuziehen, weil er zeigt, was die sogenannte Eulenburg–Affäre für die Herrschaft Wilhelms II. bedeutet, als literarische Darstellung zu Wilhelm II. Heinrich Manns Roman Der Kopf und Carl Sternheims Satire Libussa, des Kaisers Leibroß.

Innerhalb des genannten Rahmens führt Duberman vor allem drei Personen vor, Magnus Hirschfeld, Sexualforscher und Vorkämpfer gegen die Diskriminierung von homosexuellen Männern und Frauen und für die Abschaffung des Paragraphen 175, Harry Graf Kessler, reicher, sensibler Kunstmäzen, nach 1918 Politiker und zeitweise Reichstagsabgeordneter, bald auch aktiv in der Friedensbewegung, und Walther Rathenau, Industrieller und in der Weimarer Republik eine Zeit lang Außenminister. In diesem Amt wurde er 1922 ermordet. Kessler ist mit seinem zunächst nur auszugsweise, inzwischen vollständig veröffentlichten Tagebuch ein wichtiger Zeitzeuge geworden. Es ist wohl die bedeutendste Quelle von Dubermans history/novel.

In teils fiktiven Gesprächen gelingt es dem Autor, dem Leser wichtige Zusammenhänge direkt, von den beteiligten Personen her, nahezubringen, im dritten Teil ("Magnus Hirschfeld") zum Beispiel Stadien der Forschungen zur Homosexualität seit Karl Heinrich Ulrichs, dessen Werk Hirschfeld stark beeinflusste. Dieser dritte Teil scheint mir der am besten gelungene. Die Persönlichkeit und das Werk Hirschfelds gaben nach eigenem Bekunden Duberman den wesentlichen Anstoß zum ganzen Buch. Ein erdachtes Gespräch zwischen Hirschfeld und — Ernst Röhm (!) gehört zu den Höhepunkten: Röhm sucht bei Hirschfeld Hilfe für die juristische Verfolgung eines jungen Soldaten, der in Röhms Wohnung einen Beischlafdiebstahl begangen hat. Ein anderer Höhepunkt ist ein Gespräch zwischen Kessler und Hermann Esser, NSDAP–Mitglied mit der Parteibuchnummer 2.

Hirschfeld und Rathenau sind Juden, Kessler und Hirschfeld sind Homosexuelle, dass dieses auch für Rathenau gegolten haben könnte, deutet Duberman mehrmals dunkel an. Kesslers und Hirschfelds Leben durchziehen das ganze Buch. Rathenau und Kessler sind befreundet, beide haben keine nähere Beziehung zu Hirschfeld. Um die drei herum treten wechselnd zahlreiche weitere Figuren auf. Die Leben der drei bilden Stränge der Erzählung, geschickt springt Duberman zwischen ihnen hin und her. Es geht vor allem um männliche Homosexualität und ihre Diskriminierung und Verfolgung wie um das Leben emanzipierter und assimilierter Juden in einer stark antisemitisch bestimmten Gesellschaft.

Andere haben die Diskriminierung von Homosexuellen und Juden und deren Widerstand dagegen nicht einfach als Parallelität gesehen, sondern als sich ineinander schlingenden psychischen und historischen Zusammenhang, so bekanntlich Marcel Proust in seiner Recherche, vor allem im zentralen vierten Roman Sodom und Gomorrha von 1921 und dem, was sich in den Folgebänden daraus entwickelt. Giorgio Bassanis Roman Der Mann mit der Goldrandbrille stellt dar, wie die Verfolgung von Juden und Homosexuellen im italienischen Faschismus ineinandergriff. Zu Beginn der Aids–Krise ließ Larry Kramer 1985 in seinem Stück The Normal Heart die Verfolgung und Vernichtung der europäischen Juden quasi ein Licht auf die besonders schmerzhaft empfundene Ablehnung der Homosexuellen in dieser Zeit werfen. In der Aufsatzsammlung Queer Theory and the Jewish Question von 2003 findet sich eine Fülle von Beiträgen. Ich nenne hier nur drei: Janet R. Jakobsen untersucht, wie und unter welchen Voraussetzungen Schwule und Juden in den USA der Gegenwart handlungsfähige Allianzen bilden können. Jay Geller stellt dar, wie Sigmund Freud und Hans Blüher eine Zeit lang in ihren Schriften zur Homosexualität aufeinander zugingen, Blühers Antisemitismus jedoch sie entscheidend trennte. Paul B. Franklin beschreibt, wie in der Behandlung der Ermordung eines jüdischen Jungen durch zwei homosexuelle jüdische Heranwachsende 1924 in Chicago in den Medien und durch die Justiz homophobe und antisemitische Stereotype sich wechselseitig verstärkten. Obwohl Juden und ‘Quere’ im Titel seines Buches direkt aufeinander folgen, bleiben in Dubermans Darstellung ihre Diskriminierungen bis zur Verfolgung und Ermordung im Faschismus eher unvermittelt. Hirschfeld lässt er einmal sagen: "How clever of the Nazis to have conjoined anti–Semitism and anti–homosexuality" (S. 343). Die deutlichste Formulierung geht kaum weiter: "The leading Nazi paper, the Völkischer Beobachter, defines homosexuality as an ‘aberration’ and lists it among the ‘evil propensities of the Jewish soul’" (S. 315). Es fehlt jede Erörterung. Haben die Nazis erfunden, was sicher nicht als Ersten Marcel Proust im Mark bewegte? Warum das Ganze sich unter Deutschen — der dritten Gruppe im Titel des Buches — abspielt, ist keine Frage.

Martin Duberman, hoch geschätzt für seine Arbeiten zur Geschichte des gay movement in den USA, bringt in seinem Buch, auch dafür schulden wir ihm Dank, deutsche Geschichte einem englischsprachigen Publikum nahe. Das Buch lohnt sich besonders für solche, die genug von der deutschen Geschichte der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts wissen, um nun drei bedeutende und überaus kennenswerte Persönlichkeiten und ihre Lebenswelten vorgeführt zu bekommen. Es liest sich gut und flüssig.