Kevin Heiniger:
Von "Schweinereien" und "sittlichen Verfehlungen"

Homosexualität und Psychiatrie in der Erziehungsanstalt Aarburg (1914–1958)

Übersicht des Beitrags

Kevin Heiniger nähert sich auf Grundlage von Zöglingsdossiers des heute noch existierenden Jugendheims im aargauischen Aarburg dem lebensweltlichen Aspekt jugendlicher Sexualität in einer "totalen Institution" (Erving Goffman) und analysiert, wie insbesondere mit gleichgeschlechtlicher Sexualität institutionell umgegangen wurde. Anhand verschiedener Fallbeispiele aus den Jahren 1914 bis 1958 wird zugleich der Einzug der psychiatrischen Expertisenpraxis in den Erziehungsalltag beschrieben.

Die frühen Beispiele zeugen von einer Kultur des Verschweigens und Unterdrückens sowie des Glaubens an eine Umerziehbarkeit von Homosexuellen durch körperliche Arbeit. Ab den späten 1930er Jahren zogen Anstaltsdirektion und Erzieher insbesondere bei Sexualfragen vermehrt Psychiater zu Rate. Diese Expertisen beeinflussten unmittelbar Erziehungsmaßnahmen und konnten Auswirkungen etwa auf den Entlassungszeitpunkt oder auf Fragen der militärischen Diensttauglichkeit haben. Der institutionelle Umgang mit Homosexualität, wie er in den Quellen aufscheint, war auch nach dem Inkrafttreten des neuen Sexualstrafrechts von 1942, das einvernehmliche gleichgeschlechtliche Handlungen unter Erwachsenen entkriminalisierte, weiterhin diskriminierend. Der Versuch der Unterscheidung zwischen "konstitutionellen" und "unechten" Homosexuellen per psychiatrischem Gutachten basierte auf der noch vorherrschenden Annahme der Homosexualität als psychischer Erkrankung und konnte entsprechende fürsorgerische Maßnahmen zur Folge haben.




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