Queering German History.

German History.
The Journal of the German History Society 34 (2016), Nr. 3,
158 S., Online:https://academic.oup.com/gh/issue/34/3
 

sorry, no cover

 

Rezension von Samuel Clowes Huneke, Stanford University

Erschienen in Invertito 19 (2017)

In fachhistorischen Kreisen genießen sogenannte "Queer"-Methoden einen Moment der Bedeutung. Ein Zeichen des aktuellen Interesses an queerer Geschichte ist die im Jahr 2016 veröffentlichte Sonderausgabe der Zeitschrift German History zum Thema "Queering German History". Die Sammlung wurde von Jennifer Evans, Historikerin an der Carleton University in Kanada, herausgegeben und beinhaltet fünf Artikel von ProfessorInnen in den Vereinigten Staaten, England, Australien und Europa.

Jennifer Evans' Einleitung ist eine sorgfältige Zusammenfassung der bisherigen Forschung zur Geschichte der Sexualität, in der sie die bisherigen Strebungen, deutsche Geschichte zu "queeren", schildert. Ein Facheinsteiger könnte sich kaum eine bessere Einleitung wünschen. Insbesondere beschäftigt sich Evans mit der Frage, was gemeint ist, wenn von "Queer" oder genauer von queerer Geschichte die Rede ist. In ihrer Einführung stellt Evans zum Einstieg drei verschiedene Konzepte der queeren Geschichte vor.

Einerseits definiert sie queere Geschichte als "die großen Taten gleichgeschlechtlich identifizierter Menschen im Zeitablauf". Heutzutage muss so eine Geschichte damit rechnen, dass die Vergangenheit der gleichgeschlechtlichen Männer relativ gut bekannt und erforscht ist. Als wirklich grundlegende Arbeit verbleibt nun, die Geschichte anderer unterdrückter Gruppen — beispielsweise Lesben, Transgender und Bisexuelle — zu schildern. Evans erwähnt hier zum Beispiel "trans history", die momentan in der amerikanischen Forschung starke Beachtung findet. Evans argumentiert allerdings auch, dass die queere Geschichte weitaus mehr Aufgaben hat, als bloß die Vergangenheit aus der Perspektive queerer Menschen darzustellen.

Zweitens sei die queere Historie eine Geschichtsforschung, die kritisch darüber nachdenke, "wie Konventionen, Ideale, Normen und vor allen Dingen Gebräuche sich oft als unbestrittene Wahrheiten der Geschichtsschreibung durchsetzen". Diese Art, die Vergangenheit zu schildern, lege Wert auf Komplexität und versuche, die alten Götzen der Geschichtsschreibung durch sorgfältige historiographische Arbeit zu stürzen. Sie befasse sich insbesondere mit der Starrheit der Identität und den Grenzen der historischen Periodisierung. Somit schildert Evans, wie neuere Forschungen die von Michel Foucault aufgezeigte Grenze zwischen Prämoderne und Moderne in Frage stellen. Gleichwohl erwähnt sie den Einwand der US-amerikanischen Historikerin Lisa Duggan, dass die "Geschichten des 20. und 21.Jahrhunderts der Wohlanständigkeit mehr zu verdanken haben als dem sexuellen Radikalismus".

Evans behauptet drittens, die queere Geschichte "bezweifelt die Behauptungen eines singulären, linearen Zeitlaufs und einer universellen Erfahrung und betont die unbewussten Weisen, auf die Fortschrittsnarrative in unsere Untersuchungen einsickern". Diese Art, Geschichte zu queeren, knüpft an die Sicht des US-amerikanischen Theoretikers David Halperin der queeren Politik als eine Politik des reinen Widerstands an. Insbesondere beschreibt Evans die heutigen Bestrebungen, Zeit zu queeren, das heißt, "in der Vergangenheit nach Beispielen erotischer Subjektivität zu suchen, die den unseren nicht leicht eingepflanzt werden können, um unser Geschichtsprojekt von der Suche nach einem überzeitlichen, kollektiven Zusammenhang abzukoppeln, wie sie im Namen von Fortschritt und Identität geschieht". So eine Geschichtsschreibung versuche hegemoniale Narrative und Teleologien zu dekonstruieren, weil sie diese als heimtückisch wahrnehme. Diese drei Definitionen der Queer-Geschichte spielen die zentrale Rolle in Evans' Darstellung und bilden der Autorin zufolge die Zukunft der Queer-Forschung.

Die Artikel selbst stellen eine hervorragende Sammlung des gegenwärtigen Forschungsstandes der deutschen Queer-Geschichte dar. Sie sind chronologisch gegliedert und beginnen mit Recherchen zu homoerotischen Freundschaften während des karolingischen Zeitalters. Albrecht Diem, gegenwärtig Mediävist an der Universität Syracuse im Staat New York, berichtet von homoerotischen Freundschaften im karolingischen Kloster. Er will zeigen, inwieweit "Geschlechtsverkehr, Liebe und Freundschaft fließend, verhandelt, umstritten und bekämpft blieben", obwohl heutige Historiker das karolingische Zeitalter als ein eher repressives darstellen. Diem zeigt damit, inwieweit das Kloster sich als "queer space" verstehen lassen könnte ,und befragt auch damit die normativen Grenzen zwischen queeren und "unqueeren" Zeiten.

Damit vergleichbar zeigt der Historiker Helmut Walser Smith durch seine sorgfältige Analyse der Gedichte des Ewald von Kleist (1714—1759), wie das Ideal der homoerotischen Freundschaft frühe nationale Identitäten in Preußen beeinflusste und gestaltete. Nach Smith "existierte eine ausschlaggebende Homologie, von Historikern kaum beachtet, zwischen dem affektiven Diskurs zur gleichgeschlechtlichen männlichen Liebe und der Entstehung einer grundlegend neuen Grammatik der Selbstaufopferung für die Nation". Damit will Smith sowohl das Aufkommen der preußischen Nationalität als auch den Einfluss der Homoerotik darauf umdatieren.

Die australischen Literaturwissenschaftlerinnen Birgit Lang und Katie Sutton versuchen ein nuancierteres Bild der Psychoanalyse zu entwerfen, indem sie zeigen, wie sie Platz für "queere Subjektivitäten" eröffnete. In einem close reading psychoanalytischer Fallstudien zeigen Lang und Sutton, wie "psychoanalytische Fallstudien [...] neue Möglichkeiten und Rahmenkonzepte für queere Subjektivitäten eröffneten, wobei sie andere, besser etablierte Wissenschaftsansätze, über homosexuelle Erfahrung und Identität zu reden, unterminierten". In solchen queeren Möglichkeiten sehen Lang und Sutton einen "wichtigen Vorläufer der neueren Queerforschung, worin die Begrenzungen essentialisierter Sexualidentitäten attackiert werden".

Der britische Historiker Craig Griffiths nuanciert die Geschichte der sogenannten zweiten Schwulenbewegung in der Bundesrepublik der siebziger Jahre, indem er zeigt, wie die Aktivisten selbst von "gay shame" beeinflusst waren. Laut Griffiths verkörperten die jungen Aktivisten keinen klaren Bruch mit dem "gay shame" der älteren homophilen Bewegungen, wie die Aktivisten es selbst behaupteten. Damit schildert Griffiths, inwieweit geistige Kontinuitäten zwischen der Schwulenbewegung und der Homophilenbewegung die Laufbahn der schwulen Emanzipation kennzeichneten und die historische Grenze um die Entkriminalisierung im Jahr 1969 überschritten.

Ebenfalls bemüht sich der Literaturwissenschaftler Peter Rehberg, die heutige Auffassung zur schwulen Pornographie zu verfeinern, indem er zeigt, wie nationale Identität in pornographische Darstellungen eingebunden war und ist. Seine sorgfältige Analyse verschiedener schwuler und pornographischer Zeitschriften schildert, inwieweit pornographische Abbildungen von nationalen bzw. internationalen Normen und Ideen beeinflusst waren. Seine abschließende Analyse der Zeitschrift Butt will zeigen, dass sie eine neue, "queere" Form der Pornographie darstelle.

Sowohl alle fünf Artikel als auch Jennifer Evans' Einleitung stellen einen signifikanten Beitrag zur wissenschaftlichen Debatte über queere Geschichte dar. Sie bemühen sich nicht nur darum zu zeigen, was genau queere Geschichte ist, sondern auch, wie queere Geschichte als wissenschaftliche Methode praktiziert werden kann und inwieweit HistorikerInnen neue Schlüsse aus der queeren Forschung ziehen können. Die Artikel schildern, wie fruchtbar die queere Methodik und insbesondere deren Betonung von Nuance, Skepsis und Inklusivität zu sein vermögen.

Die Sammlung ist daher eine höchst wertvolle Ergänzung zur gegenwärtigen Debatte, die in der Geschichte der Sexualität fortzuführen ist. Sie zeigt, welche neuen Ufer es für uns HistorikerInnen noch zu entdecken gibt.