Andrew Wackerfuss:
Stormtrooper Families

Homosexuality and Community in the Early Nazi Movement, New York City: Harrington Park Press 2015, 352 S., 35 € 

sorry, no cover

 

Rezension von Yves Müller, Hamburg

Erschienen in Invertito 17 (2015)

Seit Jahrzehnten treibt die These eines immanenten Zusammenhangs von Homosexualität und Nationalsozialismus immer neue Blüten. Während Lothar Machtan trotz dünner Beweislage mit seinen Ausführungen zur (vermeintlichen Homo-)Sexualität Adolf Hitlers (Hitlers Geheimnis [1]) Eingang in die Feuilletons fand, können seriöse geschichtswissenschaftliche Studien zu Homosexualität, Homosexuellenverfolgung, zu Heteronormativität und Sexualpolitik innerhalb der NS-Bewegung und des Regimes auf weit weniger LeserInnen verweisen. Gleichwohl bietet gerade die Frage nach der Bedeutung von Homosexualität innerhalb der Sturmabteilung (SA), der zentralen Parteiorganisation der Nationalsozialisten in der sogenannten Kampfzeit und bis zur Röhm-Krise im Jahr 1934, auch jenseits der Auseinandersetzungen um die Person des Stabschefs Ernst Röhm selbst, viel Stoff für Forschungskontroversen. So stritten vor inzwischen über zehn Jahren Andreas Wahl, Andreas Pretzel und Sven Reichardt in der Zeitschrift für Geschichtswissenschaft über die Frage, welche Rolle die Homosexualität einiger SA-Angehöriger – von der Führungsriege bis zum einfachen SA-Mann – für die Organisation und die Ausbildung eines "Männerbundes" tatsächlich einnahm. [2]

Nun hat der Historiker Andrew Wackerfuss seine bereits 2008 an der renommierten Georgetown University (Washington D.C.) abgeschlossene Dissertation bei dem auf die Geschichte der Homosexualitäten spezialisierten New Yorker Verlag Harrington Park Press veröffentlicht, die sich am Hamburger Beispiel dem Komplex von Homosexuality and Community in the Early Nazi Movement, so der Untertitel, widmet. Die Publikation ist schon deshalb von Bedeutung, weil sie sich in die bis heute geringe Zahl der Publikationen zur weitgehend vernachlässigten Geschichte der SA einreiht.

Der Autor nimmt uns mit auf eine Reise in das "alte" Hamburg und beschreibt durchaus spannend die Szenerie der nationalistischen Rechten in der Weimarer Republik. Neben der Korrespondenz der lokalen SA-Einheiten nutzt er dabei Ego-Dokumente der SA-Angehörigen, wie die im Archiv der Forschungsstelle für Zeitgeschichte in Hamburg vorliegenden Memoiren des Standartenführers Alfred Conn, die als "illustrations of their psychological state and conscious bias" (S. 42) zu verstehen seien. So gelingt ihm eine anekdotenreiche Mikrostudie über Gemeinschaft, Männlichkeit und Sexualität, Generationalität und politische Gewalt. Wie wohl keine andere Organisation griff die SA das Erodieren des bekannten Familienmodells auf und "plunged into broken family situations that only their political victory could resolve" (S. 143). Tatsächlich bildete gerade Männlichkeit, die Frage einer "tight-knit masculine community" (S. 156), die prägende, in der Forschung aber lange vernachlässigte Komponente im Selbstverständnis der SA-Männer. "Why am I an SA man? Because my very being demands that I stand as a fighter, and enter at the point of struggle with my entire being" (S. 60), zitiert Wackerfuss ein SA-Mitglied. Zwar war die SA ein homosozialer, rein männlicher Verband, doch kann deswegen nicht von einer Abwesenheit von Frauen die Rede sein. Sie füllten vielfach "their role as moral examples and as a source of spiritual strength for male warriors" (S. 167), waren gleichsam aber ebenso Geliebte und Adressatinnen sexueller Avancen der SA-Männer.

Der Band verspricht aber in erster Linie, sich Fragen von männlicher Homosexualität in der SA zu widmen. Es sei zwischen Homosozialität, Homoerotik und Homosexualität zu differenzieren. Die SA "developed into a self-consciously masculine political movement that played to all three sides of same-sex male attraction" (S. 51), so WackerfusS. SA-Chef Ernst Röhm wird uns als Vordenker einer "patriarchal warrior masculinity" (S. 62) vorgestellt, die mitnichten losgelöst von gesellschaftlichen Entwicklungen zu betrachten sei. Dabei ist dieser "masculine warrior archetype" (S. 124) keineswegs als Erfindung der Nationalsozialisten zu betrachten, sondern hatte durchaus seine historischen Vorläufer, wie der Autor mit Verweis auf Jost Hermands Studie feststellt. [3] Die Vitalisierung des homosozialen Männerbundes der rechten Paramilitärs falle in dieselbe Zeit wie die Etablierung einer homosexuellen Subkultur in der Metropole Berlin, aber auch in Hamburg. Das Männerbund-Konzept brachte jedoch auch Schwierigkeiten mit sich, die eine Abgrenzung geboten erscheinen ließen. Entgegen so mancher Stereotype war klar: "if a homosexual stormtrooper wanted to stay within the movement, he had to remain hidden – possibly from his comrades and always from the public eye" (S. 185). So versuchte sich die SA mit homophoben Kampagnen immer wieder jedweden Verdachts zu erwehren, Homosexuelle in den eigenen Reihen zu dulden. Folglich mobilisierte die Hamburger SA im Dezember 1928 gegen die Aufführung des Theaterstücks Der Verbrecher und reagierte damit nicht zuletzt auf die Thematisierung der Homosexualität eines im Rahmen eines medial stark rezipierten Mordprozesses angeklagten SA-Mannes: "The resulting publicity of a stormtrooper‘s homosexuality created difficulties for the SA at the same time it was trying its best to woo members of the other hypermasculine paramilitaries" (S. 97).

Dass die Homosexualität Röhms besonders von der sozialdemokratischen Presse und später in Teilen der exilierten Publizistik – erwähnt sei nur Willi Münzenbergs Braunbuch – genutzt wurde, um die NS-Bewegung bzw. das Regime zu "entlarven", ist bekannt und von der historischen Forschung hinreichend untersucht worden. [4] Doch Wackerfuss stellt die mediale Kampagne, an der sich auch das sozialdemokratische Hamburger Echo beteiligte, am Beispiel der Hansestadt dar: "The sinister nature of the SA’s ersatz family became a consistent theme of SPD propaganda" (S. 181) und "homophobic taunts became common against stormtroopers" (S. 182). Bei ihren Aufmärschen wurden die SA-Männer von GegendemonstrantInnen oft genug als "Röhmlinge" verschrien.

Das letzte Kapitel widmet sich folgerichtig, aber allzu naheliegend, den moralischen Implikationen, unter denen sich das NS-Regime eines Teils der SA-Führung am 30. Juni / 1. Juli 1934 entledigte. Die Nationalsozialisten rechtfertigten die Ermordung von Röhm und etlichen weiteren SA-Führern (die bei weitem nicht alle homosexuell gewesen sein mochten) sowie einigen Konservativen mit dem Willen "to defend the state and restore the Party’s moral standing in penance for the stormtroopers‘ vice, decadence, and homosexuality" (S. 301).

Wackerfuss nutzt durchaus interessantes Quellenmaterial (insbesondere die SA-Bestände aus dem Staatsarchiv Hamburg) und hat heute weitgehend unbekannte Werke einer recht breiten apologetischen SA-Literatur studiert. Doch sind die acht Kapitel des Bandes recht unterschiedlich in ihrem Gehalt und gerade bei der Frage nach der Bedeutung von Homosexualität in und für die SA – laut Untertitel immerhin Schwerpunkt des Bandes – bleibt er allzu oft vage und bringt den Stand der Forschung kaum weiter. Auch kann die Schlussfolgerung des Autors, dass nach der Ermordung Röhms "the SA’s time had passed" (S. 316), als überholt angesehen werden. [5] Gleichwohl macht gerade der eloquente Stil und die Mischung aus Sexualitäts- und Regionalgeschichte das vorliegende Buch lesenswert.

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[1] Machtan, Lothar: Hitlers Geheimnis. Das Doppelleben eines Diktators, Berlin: Alexander Fest Verlag 2001.

 

[2] Wahl, Hans Rudolf: Männerbünde, Homosexualitäten und politische Kultur im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts. Überlegungen zur Historiographie der SA, in: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft (ZfG) 52 (2004), Heft 3, S. 218-237; Reichardt, Sven: Homosexualität und SA-Führer. Plädoyer für eine Diskursgeschichte, in: ZfG 52 (2004), Heft 8, S. 737-740; Pretzel, Andreas: Homophobie und Männerbund. Plädoyer für einen Perspektivwechsel, in: ZfG 53 (2005), Heft 11, S. 1034-1044.

 

[3] Hermand, Jost: Old Dreams of a New Reich. Volkish Utopias and National Socialism, Bloomington: Indiana University Press 1992.

 

[4] Vgl. u. a. zur Nieden, Susanne: Aufstieg und Fall des virilen Männerhelden. Der Skandal um Ernst Röhm und seine Ermordung, in: Dies. (Hg.): Homosexualität und Staatsräson. Männlichkeit, Homophobie und Politik in Deutschland 1900–1945 (Geschichte und Geschlechter, 46), Frankfurt am Main: Campus Verlag 2005, S. 147-188.

 

[5] Müller, Yves: Wilhelm Schepmann – der letzte SA-Stabschef und die Rolle der SA im Zweiten Weltkrieg, in: ZfG 63 (2015), Heft 6, S. 513-532.




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