Ingeborg Boxhammer:
Marta Halusa und Margot Liu

Die lebenslange Liebe zweier Tänzerinnen
(Jüdische Miniaturen Bd. 175),
Berlin: Hentrich & Hentrich 2015, 92 S., 9,90 € 

sorry, no cover

 

Rezension von Corinna Tomberger, Berlin

Erschienen in Invertito 17 (2015)

Ein fotografisches Doppelporträt ziert den schmalen Band im handlichen Kleinformat: Auf der linken Seite eine junge Frau, das dunkle, kinnlange Haar mit Seitenscheitel, glattem Ansatz und Wasserwelle ganz im modischen Stil der 1920er Jahre frisiert. Die androgyne Gestalt zu ihrer Rechten mit kurzem, hellem Haar trägt ein weißes Hemd mit Stehkragen, Fliege und Weste, darüber ein dunkles Sakko. Die nachgezogenen Augenbrauen, die geschminkten Lippen sowie die feinen Gesichtszüge markieren sie als Frau, zurechtgemacht im Garçonne-Stil der 1920er und 1930er Jahre.

Das elegant gekleidete Frauenpaar ruft Assoziationen an die "Goldenen Zwanziger" auf: Die Verbreitung einer modernen Tanz- und Vergnügungskultur, das veränderte weibliche Selbstverständnis der "Neuen Frau", die Eigenständigkeit, Erwerbstätigkeit und einen selbstbewussten Umgang mit der eigenen Sinnlichkeit beanspruchte. Dieser soziale und kulturelle Wandel rahmt die beruflichen Ambitionen von Marta Halusa und Margot Holzmann, spätere Liu, deren Biografien Ingeborg Boxhammer zu rekonstruieren sucht. Schwerpunkte legt Boxhammer auf die Familiengeschichte ihrer jüdischen Protagonistin Margot Holzmann, die Verfolgungsgeschichte beider Frauen im Nationalsozialismus und ihre Bemühungen um die Anerkennung als Verfolgte und um Entschädigung in der Nachkriegszeit.

Die beiden jungen Frauen lernten sich mit Anfang zwanzig, vermutlich 1932, bei einem Engagement als Tänzerinnen in Hamburg kennen. Margot Holzmann, 1912 als Kind einer jüdischen Händlerfamilie in Schlesien geboren, hatte nach Abschluss der Mittelschule eine Ausbildung an einer Hallenser Ballettschule absolviert. Die zwei Jahre ältere Marta Halusa, eines von acht Kindern einer Arbeiterfamilie aus dem holsteinischen Brunsbüttelkoog, arbeitete seit ihrem 14. Lebensjahr als Küchenhilfe und trat in Hamburg nebenher als Tänzerin auf. Im Unterschied zu Margot Holzmann hatte Marta Halusa keine tänzerische Ausbildung absolviert, sondern "nebenbei" (S. 29) tanzen gelernt. Möglicherweise hatte sich Halusa ihre Fähigkeiten in jener Tanzkultur angeeignet, die sich in den 1920er Jahren als "Freizeitbetätigung für weite Bevölkerungskreise" [1] etabliert hatte.

Das Hamburger Engagement markiert den Beginn sowohl einer gemeinsamen künstlerischen Arbeit der beiden Tänzerinnen als auch einer lebenslangen Beziehung. Auch über den Tod hinaus dokumentiert die gemeinsame Grabstätte auf dem Londoner Edgwarebury Cemetery, versehen mit den Kosenamen der beiden Frauen, auf berührende Weise diese Verbindung (Foto S. 9). Die lesbische Verbindung war für Boxhammer ausschlaggebend für ihre Recherchen (S. 7), auch wenn sie sich ausdrücklich einer expliziten Einordnung der Frauen als lesbisch oder homosexuell enthält, da entsprechende Selbstzuschreibungen nicht überliefert sind (S. 63). Dass die Quellenlage die Rekonstruktion der Lebensgeschichten von Halusa und Holzmann/Liu erheblich erschwert, stellt die Autorin gleich zu Beginn ihres Buches klar. Die verfügbaren schriftlichen Zeugnisse entstanden einerseits in Zusammenhang mit der nationalsozialistischen Verfolgung, andererseits für Entschädigungsanträge in der Nachkriegszeit. Deshalb konnte Boxhammer auf keine persönlichen Aufzeichnungen zurückgreifen, welche die beiden Frauen außerhalb des Rahmens staatlicher Beurteilung verfasst hätten. Zwar konnte sie Kontakt zu Margot Lius Neffen herstellen, der Fotos sowie Informationen über die Zeit nach 1945 beisteuerte. Doch gerade die tänzerische Laufbahn von Halusa und Holzmann, die das beschriebene Cover wie der Untertitel des Bandes betonen, wird nur knapp behandelt und kaum historisch eingeordnet.

Am eindrücklichsten künden die abgebildeten Werbekarten für "Peter"(S. 30) alias Halusa und "Pepita" (S. 35) alias Holzmann sowie für "‚Pepita‘ & Peter" (S. 37) von deren tänzerischen Ambitionen. Die auf 1936/37 datierten Fotocollagen, denen auch der Ausschnitt auf der Titelseite entnommen ist, wurden eigens für die Akquise im Ausland erstellt. Peter, "acrobatic & step unheard" (S. 30), tritt als androgyner Stepptänzer mit Zylinder in Frack und Anzughose in Erscheinung. Pepita, "the beautiful eccentric dancer" (S. 35), posiert in kurzem Kleid wie in bauchfreiem Oberteil und hoch geschlitztem Rock als der feminine Part. Inwieweit die Werbeaufnahmen zeigen, was die beiden Frauen zu dieser Zeit tatsächlich tänzerisch aufführten, ist unklar. Die Autorin geht von einer Zusammenarbeit "über einen längeren Zeitraum in einer Tanznummer" (S. 34) in deutschen Städten und im Ausland aus; Zeitangaben wie Quellen fehlen jedoch. Es ist durchaus möglich, dass Holzmann bis in die zweite Hälfte der 1930er Jahre auftreten konnte, wie sie später in ihrem Entschädigungsantrag angab (S. 20). Denn die Reichstheaterkammer, der öffentlich auftretende TänzerInnen ab September 1933 angehören mussten, schloss Jüdinnen und Juden erst ab 1936 systematisch aus. [2] Ob und inwiefern die erforderliche Mitgliedschaft den Frauen zum Problem wurde, diskutiert Boxhammer nicht. Warum neben Holzmann auch Halusa "den Beruf als Tänzerin […] nicht mehr ungehindert ausüben" (S. 38) konnte, bleibt daher ebenso offen wie ihr weiterer Berufsweg.

Allerdings gilt das Hauptaugenmerk der Autorin auch den Verfolgungsgeschichten. Dieser Schwerpunkt ist nachvollziehbar, weil die Verfolgungsbehörden die beiden Frauen sowohl aus politischen und antisemitischen Gründen als auch wegen Prostitution und "Verdacht der lesbischen Betätigung" (S. 58) ins Visier nahmen. Boxhammer liefert somit auch einen Beitrag zu der kontroversen Debatte, inwieweit weibliche Homosexualität im nationalsozialistischen "Altreich" trotz fehlender strafrechtlicher Sanktionierung de facto dennoch einen Verfolgungsgrund bildete. In dieser Diskussion kommt Fallgeschichten insofern eine besondere Bedeutung zu, als sie den faktischen Umgang nationalsozialistischer Verfolgungsbehörden mit weiblicher Homosexualität dokumentieren.

Polizei- und Gerichtsakten belegen ab 1933 die Verfolgung Margot Holzmanns nach § 361,6 RStGB, der seit dem Kaiserreich "gewerbsmäßige Unzucht" reglementierte und im Mai 1933 verschärft worden war. [3] Für den Zeitraum bis 1937 sind diverse Verurteilungen und Haftstrafen Holzmanns in diesem Kontext in Frankfurt am Main, Berlin und Hamburg nachweisbar, zudem sieben nicht näher nachvollziehbare Anordnungen von "Schutzhaft" (S. 47-49). Vermutlich ab 1937 lebten Holzmann und Halusa in Berlin zusammen; Anfang 1938 brachte Marta Halusa dort eine Tochter zur Welt, die bereits im Kleinkindalter verstarb. Im Februar 1939 waren beide Frauen wegen Vergehen nach § 361,6 RStGB für einige Tage in Haft. Ob Halusas Tochter zu diesem Zeitpunkt noch lebte, ist unklar.

Den Angaben der Frauen bei den Entschädigungsbehörden zufolge, wurde Halusa ab 1939 wiederholt denunziert und inhaftiert, weil sie mit einer Jüdin zusammenwohnte. Im November 1941 suchte Margot Holzmann der drohenden Deportation zu entgehen, indem sie Chi-Lan Liu heiratete und dadurch die chinesische Staatsbürgerschaft erhielt. Allerdings versuchte ihr Ehemann bald darauf, die Heirat mit der Behauptung, die beiden Frauen pflegten eine lesbische Verbindung, für nichtig erklären zu lassen. Wie die Gerichtsakten belegen, bemühten der Kläger und sein Anwalt eine homophobe, antisemitische Argumentation im Sinne der NS-Rassen­ideologie; dennoch lehnte das Gericht ihr Gesuch im Mai 1942 ab. Wenige Monate später, im September 1942, führte eine erneute Denunziation zu polizeilichen Ermittlungen. Der "Verdacht der lesbischen Betätigung" (S. 58) sowie der "Gewerbsunzucht" (S. 56) belastete Liu wie Halusa. Beide räumten "Gewerbsunzucht" ein, bestritten jedoch ein lesbisches VerhältniS. Obgleich der ermittelnde Beamte sich alle Mühe gab, den Beschuldigten Letzteres nachzuweisen, wurde das Verfahren eingestellt. Laut Staatsanwaltschaft war "eine strafbare Handlung […] nicht zu erkennen" (S. 61). Trotzdem wurden die Frauen in der Kartei des Berliner Homosexuellendezernats erfasst. Für die letzten Kriegsmonate gaben beide bei ihrem Antrag auf Anerkennung als Verfolgte eine Haftzeit aus politischen Gründen an. Margot Liu berichtete von einer gemeinsamen Inhaftierung im April 1945 wegen "staatsfeindlicher Propaganda, Heimtücke und Hochverrat" (S. 65), Marta Halusa gab als Haftzeit Februar bis Ende April 1945 an (S. 72).

Wie die widersprüchlichen Angaben Lius und Halusas zu ihrer letzten Verhaftung verdeutlichen, bedarf das von Boxhammer recherchierte Material einer sorgfältigen quellenkritischen Lektüre. Allerdings leistet die Autorin die gebotene Quellenkritik nur partiell. Um die Informationen, wie oben, den jeweiligen Quellen zuzuordnen, muss überwiegend auf die Endnoten zurückgegriffen werden. Indes sind Quellennachweise, vielleicht aufgrund des Publikationsformats, nur punktuell angegeben. Ausdrückliche quellenkritische Bemerkungen der Autorin beschränken sich auf die Akten der Verfolgungsbehörden sowie den Umstand, dass Halusa und Liu ihre Verfolgung wegen Prostitution und gleichgeschlechtlicher sexueller Handlungen in ihren Anträgen nicht angaben (S. 69). Weitere Widersprüche in den Darstellungen ihrer Protagonistinnen, wie den oben skizzierten, problematisiert Boxhammer nicht, obwohl diese auch das Entschädigungsverfahren erschwerten (S. 74).

Boxhammers Fokus auf die lesbische Verfolgungsgeschichte mag dazu beigetragen haben, dass sie anderen interessanten Details nicht nachgegangen ist: etwa, dass Holzmann in jener Zeit, in der sie wiederholt als Prostituierte verfolgt wurde (S. 44-48), nach eigenen Angaben als Tänzerin gut verdiente (S. 20-22). Dies hätte einerseits die Frage aufgeworfen, inwieweit die Verfolgung nach § 361,6 RStGB mit Holzmanns tänzerischer Tätigkeit verknüpft gewesen sein könnte, stellt andererseits quellenkritische Fragen an Holzmanns Angaben. Das bemerkenswerte Foto von Halusa 1938, die in Sakko, Hemd und Krawatte stolz ihren Säugling der Kamera präsentiert (S. 31), bleibt gleichfalls unkommentiert. Die Geburt der Tochter – Boxhammer mutmaßt ohne weitere Erklärung: "möglicherweise die Folge einer Vergewaltigung" (S. 31) – bildet ohnehin eine Randnotiz, abgetrennt von der Liebesgeschichte der beiden Frauen (S. 34-68).

Grund aufzumerken hätte auch die gleichzeitige Verurteilung Halusas und Holzmanns zu drei Tagen "Sittenstrafe" nach § 361,6 RStGB im Februar 1939 gegeben (S. 48). Könnte ihr ein Vergehen zugrunde liegen, das beiden Frauen gemeinschaftlich angelastet wurde? Welche konkreten beruflichen oder privaten Handlungen der beiden Frauen könnten als öffentliche Aufforderung zur Unzucht, die § 361,6 RStGB in seiner verschärften Fassung einschloss, verfolgt worden sein? Insgesamt geht Boxhammer mit den Beschuldigungen ihrer Protagonistinnen wegen § 361,6 RStGB eher defensiv um. Dass Holzmann und Halusa ihren Lebensunterhalt tatsächlich durch Prostitution bestritten haben könnten, erwägt sie nur ansatzweise. Dabei wäre es durchaus aufschlussreich gewesen, die Rahmenbedingungen zu skizzieren, in denen die Frauen sich in diesem Falle bewegt hätten. Bedenkt man Jens Doblers Hinweis, dass Prostitution für die Lesbenforschung bedeutsam sei, weil sie als "eines der wenigen Gewerbe […] Frauen […] ein eigenes Einkommen und Unabhängigkeit [erlaubte]" [4], so hätte dies gar ein Kapitel ungeschriebener Lesbengeschichte in den Blick rücken können.

Dennoch stellt Ingeborg Boxhammer einen hochspannenden vor, den sie mit erheblichem Rechercheaufwand erkundet hat. Wer in dem Miniaturenband eine gut lesbare biografische Erzählung erwartet, wird zwar einige Mühe haben, die Fragmente zusammenzusetzen, hat dafür aber Gelegenheit, selbst zahlreiche Fragen an die Biografien zu stellen. Wer aus fachwissenschaftlicher Perspektive nach Erkenntnissen über die Lesbenverfolgung sucht, kann viele Ideen entwickeln, wie Biografien zur weiteren Forschung beitragen können. Der Geschichte von Marta Halusa und Margot Holzmann/Liu ist zu wünschen, dass sie auch, aber nicht nur in diesem Sinne weitergeschrieben wird.

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[1] Schär, Christian: Der Schlager und seine Tänze im Deutschland der 20er Jahre. Sozialgeschichtliche Aspekte zum Wandel der Musik- und Tanzkultur während der Weimarer Republik, Zürich: Chronos 11991, S. 147.

 

[2] Vgl. Schrader, Bärbel: "Jederzeit widerruflich". Die Reichskulturkammer und die Sondergenehmigungen in Theater und Film des NS-Staates, Berlin: Metropol 12008, S. 203-204.

 

[3] Vgl. Freund-Widder, Michaela: Frauen unter Kontrolle. Prostitution und ihre staatliche Bekämpfung in Hamburg vom Ende des Kaiserreichs bis zu den Anfängen der Bundesrepublik, Münster: Lit Verlag 12003, S. 27, S. 112-115.

 

[4] Dobler, Jens: Unzucht und Kuppelei. Lesbenverfolgung im Nationalsozialismus, in: Eschebach, Insa (Hg.): Homophobie und Devianz. Weibliche und männliche Homosexualität im Nationalsozialismus, Berlin: Metropol 12012, S. 53-62, S. 58.




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