Christine M. Klapeer:
Perverse Bürgerinnen

Staatsbürgerschaft und lesbische Existenz
Bielefeld, transcript Verlag 2014, 344 S., 34,99 € 

sorry, no cover

 

Rezension von Inga Nüthen, Berlin

Erschienen in Invertito 17 (2015)

Die Frage von Staatsbürgerschaft ist für LGBTIQ-Bewegungen ein zentrales Thema: So geht es etwa bei der Diskussion um die Homo-Ehe darum, gleiche Staats-/Bürger*innenrechte [1] zu erlangen und damit als "normale Bürger*innen" anerkannt zu werden. Debatten um sexual citizenship sind deshalb gleichermaßen zentral für politische Kämpfe wie für theoretische Beiträge innerhalb der LGBTIQ-Communities bzw. der Lesbian & Gay/Queer Studies. Doch was passiert, wenn im Zusammenhang mit Staatsbürgerschaftsrechten "Normalität" und "Gleichheit" eingefordert werden? Welche Normalität und welche Gleichheit wird angestrebt? Und "Normalität" und "Gleichheit" für wen?

Christine M. Klapeer untersucht die mit der Forderung nach Staatsbürgerrechten verbundenen "Inklusionserzählungen" in ihrem 2014 erschienenen Buch Perverse Bürgerinnen. Staatsbürgerschaft und lesbische Existenz. Der Ausgangspunkt ihrer politikwissenschaftlichen Arbeit ist nicht die Frage, wie homosexuelle Existenzweisen in bestehende Staatsbürgerschaftskonzepte inkludiert werden können. Vielmehr geht es ihr darum zu untersuchen, unter welchen Bedingungen nicht heterosexuelle, speziell lesbische Staatsbürger*innenschaft hergestellt wird, gelebt und gedacht werden kann. Staatsbürgerschaft begreift Klapeer nicht als bloßes Rechtsinstitut, sondern als sozialen Prozess, in dem durch Anweisungen, Bedingungen und Vorschriften festgelegt wird, welche Körper als denk- und lebbare (intelligible) [2] Körper Sichtbarkeit und Existenz erlangen und damit zu legitimen Staatsbürger*innenkörpern werden (können). Sie erörtert, dass und wie Staatsbürgerschaftsdiskurse und -praxen – ideengeschichtlich umkämpfte – politische Intelligibilität herstellen. Politische Intelligibilität beschreibt, welche Körper als leb- und denkbar politisch repräsentiert werden und partizipieren können. Im Zentrum ihrer Analyse steht damit die Frage, mit welchen Bildern von Geschlecht und Sexualität – in Verknüpfung mit "Rasse", "Klasse" und spezifischen Formen von Körperlichkeit – der Einschluss "der Perversen" in Konzepte von Staatsbürgerschaft einhergeht und welche Anpassungsleistungen damit verbunden sind.

Mit der Leitfigur der "perversen Bürgerin" nimmt Klapeers Arbeit eine explizit queer-feministische Perspektive ein. Ihre lesben-affirmative Perspektive legt den Fokus auf die Herstellung der Position der "Lesbe" und damit verbundenen Formen von Exklusion, Diskriminierung und Gewalt (S. 33). Eine ihrer zentralen Ausgangsthesen ist, dass bisherige Arbeiten zu sexual citizenship geschlechtsblind vorgehen, indem sie keinen Unterschied zwischen männlichen und weiblichen Homosexuellen machen und damit das spezielle Verhältnis zwischen lesbischen Existenzweisen [3] und Staatsbürgerschaft ausblenden.

Klapeer untersucht daher die Konstruktion von Geschlecht und Sexualität in ideengeschichtlichen und modernen Staatsbürgerschaftskonzepten. Sie zeigt, wie normative Weiblichkeit als Inklusionsbedingung für lesbische Staatsbürger*innen funktioniert, und macht auf die damit einhergehende Stärkung heteronormativer Strukturen aufmerksam. Gleichzeitig bezieht sie in ihre Betrachtung auch die grundlegende Bedeutung von rassistischen Klassifizierungen für Konzepte von Staatsbürger*innenschaft mit ein. Ihre Ausführungen machen deutlich, wie neben nicht heterosexuellen Lebensweisen historisch Frauen und nicht weiße Subjekte von Staatsbürgerschaftsrechten ausgeschlossen wurden. Dabei wird erkennbar, wie diese Verhältnisse miteinander verwoben sind und auch in aktuellen Debatten eine Rolle spielen.

Klapeer widmet in ihrer Studie ein Kapitel den Staatsbürgerschaftskonzepten der Neuzeit und nimmt die Vertragstheorien von Thomas Hobbes, John Locke, Jean-Jacques Rousseau und Immanuel Kant genauer unter die Lupe. Sie untersucht, wie Heteronormativität und Rassismus in diese Konzepte eingeschrieben sind. Dabei geht sie davon aus, dass diese ideengeschichtlichen Debatten als historisch-politische Diskurse immer noch Auswirkungen auf ein heutiges Verständnis von Staatsbürgerschaft haben. Vor diesem Hintergrund stellt sie feministische Kritiken am Androzentrismus dieser Vertragstheorien zusammen und erweitert diese um heteronormativitäts- und rassismuskritische Perspektiven. Klapeer zeigt, wie Hobbes‘ Konzeption des Gesellschaftsvertrages eine hierarchisch strukturierte (Hetero-)Sexualität zur Grundlage und Funktionsbedingung (männlicher) Staatsbürgerschaft macht; wie bei John Locke, dem Begründer eines liberalen Staats-/Bürgerschaftskonzepts, der Statuts des Staatsbürgers an das männliche Eigentumsverhältnis zu sich selbst – einer männlich gedachten Autonomie – gebunden ist; wie sich bei Rousseau der erfolgreiche Staatsbürger über die Kontrolle seiner Lüste und deren Einhegung in der monogamen, heterosexuellen Ehe definiert; und wie Immanuel Kant Heterosexualität zur Pflicht eines vernünftigen Staatsbürgers erklärt. Deutlich wird hierbei, welche vergeschlechtlichten und rassifizierten Sexualitäten – historisch wie aktuell – Voraussetzung für eine Inklusion als Staatsbürger*innen sind. Heteronormativität, so das Ergebnis von Klapeers Analyse, ist "gleichermaßen Voraussetzung und Effekt von Staatsbürgerschaft" (S. 189), d.h. Staatsbürgerschaft gründet sich auf einer Idee von Zweigeschlechtlichkeit und Heterosexualität als Norm, bringt diese gleichzeitig immer wieder mit hervor und bestärkt sie.

Daran anschließend untersucht Klapeer den Zusammenhang von Geschlecht und Staatsbürger*innenschaft mit besonderem Blick auf die Rolle lesbischer Existenzweisen – auf die "perversen Bürgerinnen". Sie vermag dabei aufzuzeigen, wie sich Staatsbürgerschaft immer auch über die Konstruktion der "Anderen" definiert, die von ihr ausgeschlossen sind. Jenseits des "Normalen" existieren "Zonen des Verworfenen", die Klapeer als konstitutiv für die Einrichtung von intelligibler Staats-/Bürgerschaft analysiert. Lesbischen Existenzweisen wird eine prekäre Position als strangers within zuteil, welche die Grenzen der Institution Staatsbürgerschaft mit bestimmt. Klapeer zeigt die Bedeutung geschlechtlicher Hierarchien zwischen weiblichen und männlichen nicht heterosexuellen Lebensweisen ebenso auf, wie die Bedeutung von Mutterschaft für einen partiellen Einschluss von Frauen als sekundäre Staatsbürgerinnen.

Mit Blick auf Forderungen nach Staats-Bürger*innenrechten arbeitet sie in einem weiteren Kapitel die Ambivalenzen einer Inklusion in bestehende Staatsbürgerschaftskonzepte heraus: Inklusion geschehe zu den Bedingungen der Marktförmigkeit und der Normalisierung innerhalb einer heteronormativen Staatsbürger*innenschaft. Der "guten lesbischen Bürgerin" würden Rechte vor allem über eine Integration in die Konsumtionssphäre und eine Anpassung an heteronormative Geschlechterrollen zugesprochen. Gerade die Öffnung der Ehe sieht sie hierbei im Licht einer Verfestigung von Familien- und Beziehungsmodellen, die Konformität mit normativen Genderrollen und die Entpolitisierung lesbischer Sexualität einfordern. Sie stellt klar heraus, wie die strukturbildende Funktion von Heteronormativität, Rassimus und Klassismus für das Konzept von Staatsbürgerschaft nicht unterlaufen wird, und nur einige lesbische Existenzweisen eingeschlossen werden. Klapeer betrachtet durch das gesamte Buch Rassismus als bedeutenden Parameter für die Konstruktion der Zonen des Verworfenen und des Ausschlusses von Staatsbürgerschaft. An dieser Stelle zeigt sie auf, dass mit der Inklusion bestimmter lesbischer Existenzweisen eine modernisierungstheoretische Erzählung einhergehe, welche die Ausgrenzung von Homosexualität dem Anderen, Nicht-EUropäischen zuschreibe und Staatsbürgerschaft als weiße Staatsbürgerschaft verfestige. Staatsbürgerschaft, so ihre These, fungiert "[...] also (wieder einmal) als machtvolles Gleichheitsnarrativ, mit dessen Hilfe reale, soziale Ungleichheiten verdeckt werden sollen [...]" (S. 249).

Klapeers Buch ist eine fundierte Anregung zur Dekonstruktion eines gar nicht neutralen Staatsbürgerschaftskonzepts und seiner Geschichte. Ihre Studie zeigt eindrücklich, was es für die Betrachtung von Staatsbürgerschaft bedeutet, Homo- und Heterosexualität als gesellschaftliches Ordnungsprinzip zu begreifen. Inklusion in Staatsbürgerschaft jenseits von Heteronormativität, Rassismus und Klassismus zu denken, wird damit als universalistische Täuschung mit langer Geschichte entlarvt. Klapeer schlägt in ihrem Fazit einen Perspektivenwechsel jenseits inklusiver Modelle vor. Als Alternative stellt sie Konzepte dissidenter, oppositionell-demokratischer und gegen-hegemonialer Staatsbürger*innenschaft in den Mittelpunkt. Ihre Hoffnung gilt der perversen Bürgerin.

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[1] Christine M. Klapeer verwendet die geschlechtersensible Schreibweise mit "*" (Staatsbürger*innen), die sprachlich Positionen jenseits der Zweigeschlechtlichkeit sichtbar machen möchte. Diese Schreibweise habe ich gerne von Klapeer übernommen. Die Formulierung Staats-/Bürger*innenrechte ist ebenfalls eine Begriffswahl der Buchautorin, die ich als eine Betonung der Verbindung der Konzepte von Staat und Bügerschaft zitiere.

 

[2] "Intelligibel" ist, was sozial sinnvoll, verstehbar und plausibel erscheint; was oder wer intelligibel ist, ist sozial anerkannt. Intelligibilität ist die Voraussetzung für die Lebbarkeit.

 

[3] Mit dem Begriff lesbische Existenzweisen will Klapeer betonen, dass Lesbischsein keine feste Identität, sondern ein dynamisches und nicht ein abgeschlossenes Konstrukt ist, das jedoch gleichzeitig konkrete materielle Auswirkungen hat.




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