Invertito – Jahrbuch für die Geschichte der Homosexualitäten

Liebe Leserinnen und Leser!

Der vorliegende 16. Jahrgang von Invertito bietet Ihnen einmal mehr eine Reihe von spannenden Beiträgen zur Geschichte der Homosexualitäten. Mit Hans-Peter Weingand wird der Band von einem Autor eröffnet, der schon mehrmals die Ergebnisse seiner Forschungen in unserem Jahrbuch publiziert hat. Es freut uns daher besonders, dass er 2014 für seine Studie Homosexualität und Kriminalstatistik in Österreich (Invertito 13, 2011) einen von der agpro (austrian gay professionels) verliehenen und finanziell u.a. von der Stadt Wien unterstützten Forschungspreis für wissenschaftliche Arbeiten erhalten hat. Im aktuellen Beitrag beleuchtet er anhand der Auswertung eines privaten Juristen-Nachlasses aus dem 18. Jahrhundert die Diskussion um die Strafbarkeit und das Strafmaszlig; für gleichgeschlechtliche Handlungen vor allem unter dem "aufgeklärten" österreichischen Monarchen Joseph II. Obwohl in den Diskussionen zu Beginn der 1780er durchaus die Möglichkeit einer vollständigen Entkriminalisierung gleichgeschlechtlicher Handlungen aufschien, setzte sich im 19. Jahrhundert eine sehr restriktive Gesetzgebung durch, die letztlich erst mit der Aufhebung des § 209 im Jahre 2002 ihr Ende fand.

Auch der folgende, dankenswerterweise von Raimund Wolfert aus dem Dänischen ins Deutsche übersetzte Beitrag fuszlig;t auf einem besonderen Quellenfund. Karl Peder Pedersen wertet die Tagebücher und andere Materialien des dänischen Juristen Poul Andræ (1843–1928) aus und vermag dabei aufzuzeigen, dass der aus einer begüterten und angesehenen Familie stammende Andræ als einer der ersten in seinem Heimatland für die Belange der Homosexuellen eintrat. Mit seinen Aufzeichnungen liegt eine einzigartige Quelle zur Frühphase homosexueller Identitätsfindung vor.

Rüdiger Lautmann hat ebenfalls schon mehrmals in Invertito publiziert. Diesmal geht er der Frage nach dem Verhältnis von preuszlig;ischem Militarismus und Homophobie nach, wobei er in prononcierter Weise die These vertritt, dass mit dem Sturz von Eulenburg und des mit ihm verbundenen Beraterkreises eine mäszlig;igend auf den Kaiser einwirkende Stimme verlorengegangen sei, was dessen Politik auf einen Kurs gelenkt habe, der letztlich in den Ersten Weltkrieg geführt habe. Lothar Zieskes Beitrag widmet sich einer bisher nicht beachteten nationalsozialistischen Propagandaschrift von 1940, in der sich Diffamierungen gegen den Kriegsgegner England aufs engste mit der Hetze gegen Homosexuelle als vermeintliche "innere" Staatsfeinde verbinden.

Mit dem Beitrag von Sophie Kühnlenz machen wir einen Sprung in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts. Sie beleuchtet zum einen die Reaktionen der Mainstream-Medien auf Rosa von Praunheims erstmals 1971 auf der Berlinale gezeigten Film Nicht der Homosexuelle ist pervers, sondern die Situation, in der er lebt, geht zum anderen auf die Auseinandersetzungen innerhalb der schwulen Community ein und fragt nach der Bedeutung, die der Film für die schwule Emanzipationsbewegung der 1970er Jahre hatte.

In der Rubrik "Kleinere Beiträge" liefert Christopher Treiblmayr einen Werkstattbericht zu seinen Forschungen über die Tätigkeiten der 1926 gegründeten Österreichischen Liga für Menschenrechte, die nach dem Zweiten Weltkrieg bis in die 1970er Jahre hinein anstelle der in Österreich nicht existierenden Homosexuellenbewegung für die rechtliche Besserstellung der Homosexuellen eintrat – ein Engagement, das innerhalb der Vereinigung keineswegs unumstritten war.

Die Kunsthistorikerin und Kuratorin Silke Opitz, aktuell an der Kunsthalle Erfurt tätig, wirft einen Blick zurück auf die von ihr 2013 kuratierte Weimarer Ausstellung zum homosexuellen Maler Sascha Schneider, der vor allem mit seinen Illustrationen zu Karl Mays Büchern bekannt geworden ist, und gibt einen Einblick in dessen Leben und Werk.

Kevin Heiniger berichtet in seinem kurzen Beitrag vom Erfolg, aber auch von den Schwierigkeiten beim vom schweizerischen Schwulenarchiv initiierten Projekt, die digitalen Daten der verschiedenen Schweizer Homosexuellenorganisationen zu sammeln, zu sichern und zu archivieren, und Thierry Delessert weist auf ein an der Universität Lausanne angesiedeltes, vom Schweizerischen Nationalfonds unterstütztes Forschungsprojekt hin, das sich dem Thema männlicher und weiblicher Homosexualität vom Ende des Zweiten Weltkrieges bis zum Ausbruch der Aids-Epidemie in den 1980er Jahren widmet.

Jan-André Jodjohns Beitrag Die Gemeinschaft der Eigenen, die Männer- und die Frauenemanzipation – Zu Ideen und Motiven einer Zusammenarbeit zwischen Männerbund und Frauenbewegung in Invertito 14 (2012) hat zu einem "Offenen Leser_innenbrief" geführt. Auf Wunsch der Unterzeichner_innen drucken wir, aus zeitlichen Gründen erst in dieser Ausgabe, sowohl den "Offenen Brief" als auch die erbetenen Stellungnahmen der Redaktion, des Verlages und des Autors ab. Den Abschluss bildet wie immer eine kleine Auswahl an Besprechungen aktueller Publikationen aus dem Bereich der Geschichte der Homosexualitäten.

Wir danken Sabine Puhlfürst, die die Redaktion im Sommer 2014 verlassen hat, für ihre langjährige Arbeit.

Die Redaktion




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