Schlagdenhauffen, Régis: Triangle rose.

La persécution des homosexuels et sa mémoire (Mutations / Sexe en tous genres), Paris: Autrement 2011, 311 S., € 23

sorry, no cover

 

Rezension von Frédéric Stroh, Straßburg (Übersetzung: Andreas Niederhäuser)

Erschienen in Invertito 15 (2013)

Régis Schlagdenhauffens Veröffentlichung basiert auf seiner 2009 im Fachbereich Soziologie eingereichten Dissertation "Das Gedenken an die homosexuellen NS–Opfer", die im Rahmen eines binationalen Promotionsverfahrens an der Universität Straßburg und der Humboldt–Universität Berlin entstanden ist.

Schlagdenhauffen beginnt seine Studie über die Entwicklung der kollektiven Erinnerung an die Homosexuellenverfolgungen unter der nationalsozialistischen Herrschaft mit einer Darstellung der Repression zwischen 1933 und 1945 – vom Verbot homosexueller Organisationen und der Zerschlagung der homosexuellen Subkultur bis hin zur Inhaftierung der Homosexuellen in verschiedenen Konzentrationslagern (Kapitel 1). Dabei beschränkt er sich bei den für die Fragestellung der Studie unentbehrlichen historischen Grundlagen auf die Zusammenfassung einiger weniger Arbeiten zum Thema, aus denen er zudem ausführlich zitiert. Sein besonderes Verdienst ist es allerdings, sich bei der Darstellung der Verfolgung nicht auf die Grenzen des Deutschen Reichs vor 1937 zu beschränken, sondern auch die vom "Dritten Reich" annektierten und besetzten Gebiete zu berücksichtigen, auf die bislang wenige historische Forschungen eingegangen sind. Der Verfasser betont, dass die Verfolgung in Deutschland und den annektierten Gebieten, wie etwa dem Sudetenland, dem Elsass oder der Moselgegend (Lothringen), am härtesten war, in den besetzten Gebieten jedoch die Repression gegen Homosexuelle trotz vereinzelter Fälle ein "phénomène marginal" (S. 40) geblieben ist. Schlagdenhauffen thematisiert auch die Verfolgung homosexueller Frauen, wobei er daran erinnert, dass das Strafgesetz im nationalsozialistischen Deutschland – im Gegensatz zu Österreich – die weibliche Homosexualität nicht unter Strafe stellte. Trotzdem waren die Lesben, wie er differenzierend festhält, einer erheblichen "sozialen Ächtung" ausgesetzt.

Anhand von drei Fallbeispielen aus Berlin, Paris und Amsterdam beschreibt er anschließend das Entstehen kollektiver Erinnerungsformen an diese Zeit der Verfolgung, insbesondere die im Laufe der 1970er Jahre durch Homosexuellenaktivisten erhobenen Forderungen nach offiziellen Gedächtnisveranstaltungen. Es ist dem Autor dabei ein besonderes Anliegen, diese Entwicklung in einen größeren Kontext zu stellen, zum einen in Bezug auf vergleichbare Prozesse bei anderen Gruppen, insbesondere den Widerstandskämpfern, den Juden und den Sinti und Roma, zum anderen in Bezug auf die Geschichte der Homosexuellenorganisationen. Als Soziologe stützt er sich dabei auf seine eigenen Beobachtungen von Gedächtnisfeiern und ein umfangreiches Korpus an mündlichen und schriftlichen Quellen: Gespräche mit ehemaligen Deportierten, Homosexuellenaktivisten, Politikern und staatlichen Funktionären resp. Homosexuellenzeitschriften, Tageszeitungen, Pressemitteilungen, offizielle Reden, Parlamentsdebatten etc.

Am Beispiel der Bundesrepublik Deutschland (Kapitel 2) zeichnet Schlagdenhauffen nach, wie sich nicht zuletzt dank der Unterstützung politischer Akteure der Status der verfolgten Homosexuellen langsam von "Kriminellen" zu "Opfern" wandelte. Als grundlegende Etappen dieser Veränderung gelten ihm dabei die Entkriminalisierung der Homosexualität 1969, die Rede Richard von Weizsäckers 1985, bei der dieser als erster Bundespräsident ausdrücklich auch die Homosexuellen als Opfer des Nationalsozialismus erwähnte, und schließlich die juristische Anerkennung des Opferstatus im Bundesgesetz aus dem Jahre 2000. Diese Anerkennung blieb nicht in einer rein ideellen Sphäre, sondern manifestierte sich auch "materiell", etwa mit Gedenktafeln, im Laufe der 1980er Jahre in den Konzentrationslagern, später aber auch in den städtischen Zentren. Am Beispiel des Berliner Denkmals für die im Nationalsozialismus verfolgten Homosexuellen, das 1992 initiiert und 2008 eingeweiht wurde, lassen sich besonders gut der Diskurs und die Rollenverteilung zwischen den einzelnen Akteuren (AktivistInnen der Homosexuellenbewegung, PolitikerInnen, HistorikerInnen, KünstlerInnen etc.) nachverfolgen.

In Frankreich (Kapitel 3) wurde der von engagierten Homosexuellen getragene Versuch, die Erinnerung an die Verfolgung in die öffentlichen Gedächtnisfeiern zu integrieren, von den bestehenden Opferorganisationen – insbesondere von den ehemaligen Widerstandskämpfern – heftig bekämpft. Ab Mitte der 1990er Jahre übernahm dann der Staat die Rolle als Vermittler, um den Konflikt zu entschärfen. Nicht zuletzt dank des Zeitzeugnisses von Pierre Seel, einem Elsässer, der von den Nazis wegen seiner Homosexualität inhaftiert worden war, konnte der Anspruch, ehemals verfolgten Homosexuellen den gleichen Status wie anderen Opfergruppen zu gewähren, auch auf nationaler Ebene legitimiert werden – allerdings mit dem Risiko, die besonderen Bedingungen der annektierten Gebiete im Osten Frankreichs zu Unrecht für das ganze Land zu generalisieren. Ab 1995 konnten Vertreter der Homosexuellenorganisationen zwar an der jährlichen offiziellen Zeremonie zur Erinnerung an die Deportation als Zuschauer dabei sein, sich jedoch nur an einer zweiten, jeweils am gleichen Tag stattfindenden inoffiziellen Veranstaltung auch aktiv beteiligen. Am Beispiel des "Manifests vom 15. März 2005", das den französischen Präsidenten Jacques Chirac dazu bewog, am "Tag der Deportation" explizit an die Homosexuellenverfolgungen in Deutschland und den besetzten französischen Gebieten zu erinnern, gelingt es Schlagdenhauffen aufzuzeigen, wie eine von engagierten Homosexuellenorganisationen getragene Lobby–Aktion funktioniert und wie der Staat auf diese reagiert. Kritisch anzumerken bleibt bei diesem Kapitel, dass der Autor auf eine Aktualisierung seiner Dissertation für die Publikation verzichtet hat und so keine detaillierte Analyse der Einweihung einer Tafel 2010 im ehemaligen Konzentrationslager Natzweiler–Struthof (Elsass) liefert, die an die verfolgten Homosexuellen erinnert.

Früher als in Deutschland und Frankreich wurde in den Niederlanden (Kapitel 4) der Anspruch auf kollektive Erinnerungsformen für die deportierten Homosexuellen gestellt. Dank eines ziemlich breiten gesellschaftlichen Konsenses konnte bereits 1987 in Amsterdam das Homomonument gebaut werden. Mit seinen Beobachtungen des Dodenherdenking aus dem Jahr 2007, des nationalen Volkstrauertags, an dem an die im Krieg Umgekommenen gedacht wird, zeigt Schlagdenhauffen beispielhaft, wie ein Denkmal dazu dienen kann, die Heterosexuellen und insbesondere die Polizeikräfte für den Kampf gegen Homophobie zu sensibilisieren.

Die Studie endet mit einer Synthese der dargestellten Fallbeispiele, anhand derer sich gut die unterschiedliche Entwicklung und Etablierung der Gedenkformen in den drei verschiedenen Ländern herausarbeiten lässt (Kapitel 5). Die vergleichende Vorgehensweise erlaubt es dem Autor dabei, die Komplexität der unterschiedlichen "chemins de la mémoire" (S. 225), der unterschiedlichen "Wege des Erinnerns", herauszuarbeiten. Auffallend ist dabei insbesondere die große Bandbreite der Konstellationen, welche die einzelnen Akteure (AktivistInnen der Schwulen– und Lesbenbewegung, ParlamentarierInnen, HistorikerInnen und VertreterInnen anderer Opfergruppen) in den verschiedenen Ländern miteinander verbindet. Während etwa in Frankreich keine Partei dazu bereit war, die Anliegen der Homosexuellenorganisationen im Parlament zu vertreten, konnten die niederländischen und deutschen Homosexuellenaktivisten auf die Unterstützung durch ParlamentarierInnen rechnen, die ihre Forderungen in die Gemeindeparlamente resp. in den Bundestag einbrachten. Allen drei Ländern gemeinsam ist dagegen der Umstand, dass die Anerkennung der Juden und nachfolgend – mit Ausnahme Deutschlands – der Sinti und Roma als Opfergruppe derjenigen der Homosexuellen vorangegangen ist.

Anhand der drei Fallbeispiele vermag der Autor aber auch aufzuzeigen, dass der Kampf um Anerkennung als Opfer und das Gedenken an die Verfolgungen größtenteils nicht von den Überlebenden selbst, sondern von jüngeren Aktivisten vorangetrieben wurde, die deshalb, ohne Zweifel eine der zentralen Aussagen der Studie, eine gemeinsame generationsübergreifende Identifikation schafften. Die Etablierung kollektiver Gedächtnisformen ist dabei für den Autor ganz klar ein "enjeu politique" (S. 267), eine zutiefst politische Angelegenheit, weil sie im Kern auf die Gegenwart, auf die aktuellen Interessen und Fragestellungen zielt: Sie ist Teil der Identitätsbildung einer sich herausbildenden homosexuellen community, die, so der Autor, mittels eines mit anderen Opfergruppen gleichwertigen Gedenkens an die Verfolgung die gesellschaftliche Anerkennung ihrer Normalität zu erreichen versucht. Vor diesem Hintergrund haben die Gedenkfeiern an die homosexuellen Opfer des Nationalsozialismus grundsätzlich eine "vocation éducative" (S. 249), eine pädagogische Funktion im Kampf gegen die Homophobie. Zwischen der vergangenen historischen Realität und dem Gebrauch der Erinnerung an diese Zeit besteht dabei durchaus eine Diskrepanz. Als Beispiel dafür dient dem Autor etwa die Analyse des symbolischen Gebrauchs des Rosa Winkels in der homosexuellen Emanzipationsbewegung der 1970er Jahre oder die Analyse der 2006 durch Feministinnen initiierten Auseinandersetzung um eine Berücksichtigung der Lesben im Berliner Denkmal für die im Nationalsozialismus verfolgten Homosexuellen. Während etwa der Historiker Joachim Müller stellvertretend für viele andere aufgrund der unterschiedlichen Behandlung von homosexuellen Männern und homosexuellen Frauen im "Dritten Reich" der Einbindung der Lesben ablehnend gegenübersteht, führten die Zusammenarbeit zwischen Schwulen und Lesben und die Absicht, die Toleranz der Gesellschaft gegenüber beiden Gruppen zu erhöhen, zum Überdenken des Projektes, mit dem – inzwischen erreichten – Ziel, dass sowohl sich küssende Männer– wie Frauenpaare zu sehen sind.

Régis Schlagdenhauffen zielt mit seiner Studie nicht in erster Linie auf die Geschichte der Homosexuellenverfolgung unter den Nationalsozialisten – dazu erfährt man denn auch nur wenig Neues. Vielmehr liegt sein großes Verdienst darin, mit einem soziologisch motivierten Ansatz aufzuzeigen, wie die Geschichte der Repression von den homosexuellen communities in den verschiedenen Ländern aufgenommen, verarbeitet und aktualisiert wurde. Er beschreibt und untersucht als Erster die Vielschichtigkeit der Genese des Gedenkens an die Homosexuellenverfolgung und leistet, auf den wegweisenden Arbeiten des Soziologen Maurice Halbwachs und des Historikers Pierre Nora aufbauend, einen wichtigen Beitrag zum Verständnis der Bedingungen für das Entstehen kollektiver Gedächtnisse. Bedauerlich bleibt allerdings, dass sich Schlagdenhauffen in seiner deutsch–französischen Dissertation auf Halbwachs und Nora beschränkt und kaum auf entsprechende Theoriekonzepte aus dem deutschsprachigen Raum eingeht.




Zum Seitenanfang     Zur Übersicht von Invertito 15