Doris Hermanns: Meerkatzen, Meißel und das Mädchen Manuela.

Die Schriftstellerin und Tierbildhauerin Christa Winsloe, Berlin: AvivA Verlag 2012, 317 S., € 19,90

sorry, no cover

 

Rezension von Sabine Puhlfürst, München

Erschienen in Invertito 15 (2013)

In den Jahren 2012/2013 erlebte die Künstlerin und Schriftstellerin Christa Winsloe (1888–1944) eine Art von "Revival": Das Schwule Museum in Berlin–Kreuzberg widmete ihr 2012/13 eine Ausstellung, [1] ihr bekanntestes Werk – der Roman Das Mädchen Manuela, ein Klassiker der Lesbenliteratur, wurde 2012 neu aufgelegt, [2] und zum ersten Mal erschien mit der hier besprochenen Publikation eine umfangreiche Biographie der Schriftstellerin, die Anfang der 1930er Jahre in Deutschland und über Deutschland hinaus durch die Verfilmung ihres Theaterstücks Gestern und heute (Ritter Nérestan) unter dem Titel Mädchen in Uniform sowie den auf Theaterstück und Verfilmung basierenden Roman Das Mädchen Manuela einen hohen Bekanntheitsgrad erreichte. Heute ist Christa Winsloe weitgehend vergessen; in filminteressierten Lesbenkreisen kennt man eher die beiden Verfilmungen aus den Jahren 1931 und 1958, weil 1931 Elisabeth Mann in einer Nebenrolle und 1958 Romy Schneider in der Hauptrolle der Manuela mitspielten.

Über Leben und Schicksal Christa Winsloes waren bislang nur Bruchstücke bekannt; unter anderem dank der Schriftstellerin Christa Reinig (1926–2008), die in einem Nachwort der Neuauflage des Romans 1983 einige Informationen zur Autorin gab, [3] sowie der Historikerin Claudia Schoppmann, die Christa Winsloe in den 1990er Jahren portraitierte.[4] Ähnlich vergessen ist auch Winsloes umfangreiches literarisches Werk. Neben dem nur in englischer Sprache erschienenen Künstlerroman Life begins (1935) sowie dem auf Deutsch veröffentlichten Roman Passeggiera gibt es im Nachlass eine Reihe weiterer unveröffentlichter Romane, Kurzgeschichten und Theaterstücke sowie einen Entwurf für ein Ballett, die auf eine Wiederentdeckung warten. So hat sich auch die Literaturwissenschaft bislang nur mit Mädchen in Uniform als Theaterstück, Film und Roman befasst.[5]

Wer war nun diese Frau, die zumindest Anfang der 1930er Jahre als berühmt galt, die sowohl Frauen wie Männer liebte, die fünf Sprachen beherrschte, eine Ausbildung als Bildhauerin machte, kurze Zeit mit einem ungarischen Baron verheiratet war und in Deutschland, Italien, Ungarn, den USA und Frankreich lebte? Diese wenigen Eckpunkte zeigen bereits, dass Winsloe – wie Doris Hermanns schreibt – "sich nicht in eine Schublade packen [lässt], dazu lebte sie einfach zu unkonventionell" (S.11). Sie überschritt im wahrsten Sinne des Wortes zu viele Grenzen. Das macht die Arbeit für eine Biographin einerseits spannend, gestaltet sie aber auch schwierig. So berichtet Hermanns, dass sie ihre Spurensuche in zahlreiche Länder geführt habe, u.a. Ungarn, Frankreich, die USA, Österreich, England (die Heimat von Winsloes Vater) und die Niederlande, wo zwei ihrer Romane veröffentlicht wurden. Über die ersten 20 Lebensjahre Winsloes ist nur sehr wenig bekannt; hier bewegt sich Hermanns auf recht dünnem Eis, wenn sie stellenweise auf das Manuskript des stark autobiographisch geprägten, unveröffentlichten Romans Das schwarze Schaf zurückgreift, um daraus Rückschlüsse auf Winsloes Leben zu ziehen. Die Lebenszeugnisse mehren sich erst mit der zunehmenden Bekanntheit Winsloes, zunächst als Tierbildhauerin und dann als Schriftstellerin.

Hermanns legt den Schwerpunkt ihrer Biographie auf zwei Lebensabschnitte. Für die Jahre 1932–1935 steht Winsloes Beziehung mit der bekannten US–amerikanischen Journalistin Dorothy Thompson (1894–1961) im Mittelpunkt. Dieser Zeitraum ist durch zahlreiche Briefe Winsloes an Thompson sowie durch deren Tagebuch belegt. Einen weiteren Schwerpunkt bilden Winsloes letzte Lebensjahre in Frankreich ab dem Jahre 1939. Neben Briefen an ihre Agentin und an Thompson sind es vor allem Briefe an ihre Berliner Freundin, die Schriftstellerin Hertha von Gebhardt, und deren Tochter Renate von Gebhardt, Winsloes Nachlassverwalterin, die Auskunft geben.

Die in 21 Kapitel gegliederte und mit zahlreichen Fotos ausgestattete Biographie erhebt nicht den Anspruch auf Vollständigkeit. Hermanns möchte diese "kosmopolitische und vielseitige Frau bekannter machen und die weitere Beschäftigung mit ihren Werken anregen" (S. 12). Dies ist ihr sicherlich gelungen. Die Leser erhalten einen Einblick in und erste Eindrücke von Leben und Schaffen einer Frau, die nicht in eine Schablone zu pressen ist. Christa Winsloe stammte aus einer Offiziersfamilie, strebte eine Künstlerkarriere in der zu ihrer Zeit männlich geprägten Bildhauerdomäne an, in der sie dann als Tierbildhauerin zumindest teilweise Anerkennung fand; sie heiratete 1913 einen ungarischen Baron und lebte auf dessen Landsitz in Ungarn ein großbürgerlich–mondänes Leben, das allerdings durch den Ersten Weltkrieg unterbrochen wurde. Nach der Scheidung 1924 konnte sie sich dank der finanziellen Absicherung durch ihren geschiedenen Mann in München ein Haus kaufen und weiter als Tierbildhauerin arbeiten. Sie gehörte zur Münchner literarisch–künstlerischen Bohème der 1920er Jahre, verkehrte u.a. mit Joachim Ringelnatz, Karl Wolfskehl, Erich Mühsam sowie Klaus und Erika Mann. Parallel zu ihrer Arbeit als Bildhauerin begann Winsloe mit der Publikation erster Zeitungsartikel, zunächst über ihre Arbeit als Bildhauerin, dann auch über andere Themen, bevor sie das Theaterstück Ritter Nérestan schrieb, das Ende 1930 in Leipzig uraufgeführt wurde. Nach einer weiteren Inszenierung in Berlin erfolgte bereits 1931 die Verfilmung, zu der Winsloe das Drehbuch verfasste und in der Erika Mann eine Nebenrolle übernahm. Der große Erfolg des Films im In– und Ausland brachte Winsloe einige Berühmtheit. Ein zweites Theaterstück, die Gesellschaftskomödie Schicksal nach Wunsch, wurde 1932 in Berlin uraufgeführt, konnte aber nicht an den Erfolg von Ritter Nérestan anknüpfen. Ende 1932 kam es zu einem Wiedersehen mit Dorothy Thompson, die ursprünglich eine Bekannte von Winsloes Ehemann Latjos Hatvany war, und die beiden Frauen verliebten sich ineinander. In der Folge reiste Winsloe im Mai 1933 mit Thompson in die USA und versuchte während ihres achtmonatigen Aufenthalts dort als Schriftstellerin Fuß zu fassen. Die Beziehung zu der verheirateten Thompson [6] gestaltete sich schwierig, aber Winsloe war auch von Heimweh geplagt, sodass sie Anfang Januar 1934 nach Deutschland zurückkehrte. An der dortigen politischen Situation übte sie nur in ihren Briefen an Thompson zaghaft Kritik, was durchaus verwundert, da Thompson als entschiedene Gegnerin des NS–Systems gilt. Winsloe scheint – wie Hermanns schreibt – eher an persönlichen Schicksalen von Menschen interessiert gewesen zu sein als an politischen Auseinandersetzungen, auch wenn sie den Nationalsozialisten ablehnend gegenüberstand. Ihre grundsätzliche Haltung, man könne trotz des Faschismus ganz gut in Deutschland überleben, ist meines Erachtens sicherlich als naiv einzustufen, lässt sich aber auch durch die Tatsache erklären, dass Winsloe selbst nicht unmittelbar bedroht war. Im August 1934 erlebte sie mit, dass ihre Freundin Dorothy Thompson, die seit Juni 1934 wieder in Europa unterwegs war, auf Hitlers persönliche Anweisung Deutschland verlassen musste. Eine Ausweisung war zur damaligen Zeit so ungewöhnlich, dass die Nachricht weltweit verbreitet wurde. Im August 1934 verließ auch Winsloe Europa erneut, um zum zweiten Mal in die USA zu reisen. Trotz reger Kontakte in Hollywood gelang es ihr aber nicht, beruflich in den Staaten Fuß zu fassen; die Beziehung zu Thompson gestaltete sich weiterhin schwierig, zumal Thompson als gefragte Journalistin ständig unterwegs war. Enttäuscht verließ Winsloe Ende 1934 nach einem Zerwürfnis mit Thompson die USA und reiste ruhelos in Europa umher. In den folgenden Jahren war ihr Leben von Reisen, aber auch Krankheiten und Einsamkeit geprägt. Vom Nationalsozialismus war sie auch weiterhin nicht unmittelbar bedroht, allerdings standen ihre Werke spätestens seit März 1936 auf der "Liste des schädlichen und unerwünschten Schrifttums" und Winsloe durfte in Deutschland nichts mehr veröffentlichen. Im September 1938 reiste sie nach Paris, um für den Filmregisseur Georg Wilhelm Pabst ein Drehbuch zu schreiben. Nach einem weiteren, kürzeren Aufenthalt in Deutschland im Sommer 1939 zog sie schließlich an die Côte d’Azur, nach Cagnes–sur–Mer, wo bereits andere deutsche Schriftsteller lebten. Ab August 1940 berichtete sie ihrer deutschen Schriftstellerkollegin Hertha von Gebhardt in regelmäßigen Briefen über ihr dortiges Leben. Winsloe begann eine Beziehung mit der Schweizerin Simone Gentet. Die Briefe erzählen von Alltäglichem, von Schreibversuchen, der problematischen Beziehung mit Gentet und der zunehmend schwierigen Lebenssituation vor Ort. Wie in den Staaten wurde Winsloe auch hier von Heimweh geplagt. Ende Januar 1944 verließ sie gemeinsam mit Gentet Cagnes–sur–Mer, zumal die Bevölkerung dort evakuiert wurde. Mit einem deutschen Durchreisevisum beabsichtigte sie nach Ungarn gelangen, nicht ahnend, dass Ungarn im März 1944 von deutschen Truppen besetzt worden war. Ihr letzter Aufenthaltsort in Frankreich ist die burgundische Kleinstadt Cluny. Dort wurden die beiden Frauen der Kollaboration verdächtigt, verhaftet und am 10. Juni 1944 von einem Mann namens Lambert ermordet, der später angab, einen Auftrag der französischen Untergrundbewegung ausgeführt zu haben. Die Hintergründe blieben ungeklärt und werden zum ersten Mal von Hermanns ausführlich beleuchtet, deren großes Verdienst auch ist, die lange kursierenden Falschaussagen von Winsloes angeblicher Kollaboration entkräftet zu haben.

Doris Hermanns hat sowohl den Lebensweg als auch die Persönlichkeit Christa Winsloes fundiert und gut recherchiert nachgezeichnet. Ein tabellarischer Lebensabriss am Ende hätte die Biographie sicherlich noch bereichert. Zahlreiche Abbildungen ergänzen die informative, lesenswerte Darstellung. Es bleibt zu hoffen, dass Doris Hermanns zu weiteren Forschungen über Christa Winsloe anregt, einer Frau, die, wie Christa Reinig treffend schreibt, "immer zwischen allen Stühlen, immer zwischen den Fronten"[7] war. Dazu können die Hinweise auf Christa Winsloes Veröffentlichungen am Ende der Biographie eine erste Anregung sein. Aber auch das bildhauerische Werk Winsloes harrt einer Wiederentdeckung.

 

[1] Vgl. den Beitrag von Katja Koblitz in dieser Ausgabe von Invertito.

[2] Winsloe, Christa: Das Mädchen Manuela, Berlin: Krug & Schadenberg 2012 (mit einem Nachwort von Doris Hermanns).

[3] Winsloe, Christa: Mädchen in Uniform, München: Frauenoffensive 1983.

[4] U.a. in Schoppmann, Claudia (Hg.): Im Fluchtgepäck die Sprache. Deutschsprachige Schriftstellerinnen im Exil, Berlin: Orlanda 1991, S. 110–132 sowie Schoppmann, Claudia: Christa Winsloe, in: Busch, Alexandra / Linck, Dirck (Hg.): Frauenliebe Männerliebe. Eine lesbisch–schwule Literaturgeschichte in Portraits, Frankfurt: Suhrkamp Taschenbuch 1999, S. 476–480. Im Jahre 1999 erschien Mädchen in Uniform in einer Neuauflage im Daphne Verlag (Göttingen) mit einem Nachwort von Susanne Amrain.

[5] Vgl. hierzu u.a. Puhlfürst, Sabine: Christa Winsloes Mädchen in Uniform. Theaterstück – Verfilmung – Roman, in: Invertito 2 (2000), S. 34–57. Puhlfürst, Sabine: "Mehr als bloße Schwärmerei". Die Darstellung von Liebesbeziehungen zwischen Mädchen / jungen Frauen im Spiegel der deutschsprachigen Frauenliteratur des 20. Jahrhunderts, Essen: Verlag Die blaue Eule 2002, v.a. S.107–129 sowie Schoppmann, Claudia: Christa Winsloe (1888–1944), 2005, auf: http://www.lesbengeschichte.de/bio_winsloe_d.html, letzter Zugriff: 16.06.2015.

[6] Dorothy Thompson war von 1928 bis 1943 mit dem US–amerikanischen Schriftsteller Sinclair Lewis verheiratet, der 1930 als erster US–Amerikaner den Nobelpreis für Literatur erhielt.

[7] Winsloe 1983, Nachwort Christa Reinig, S. 248.




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