Invertito – Jahrbuch für die Geschichte der Homosexualitäten

Liebe Leserinnen und Leser,

leider gestaltet es sich zunehmend schwierig, das Jahrbuch im ursprünglich geplanten Rhythmus herauszugeben. So erscheint, wie bereits die letzte Ausgabe, auch Invertito 2011 mit mehrmonatiger Verspätung. Das hat verschiedene Gründe, u.a. die Schwierigkeit vieler AutorInnen, ihre Beiträge fristgerecht abzugeben, vor allem aber die Tatsache, dass sich der Eingang an Beiträgen in engen Grenzen hält. Sicherlich ist es heute – und das ist eigentlich positiv zu vermerken – leichter, Aufsätze zur Geschichte der Homosexualitäten in etablierten Fachpublikationen unterzubringen und damit eine breitere akademische Öffentlichkeit zu erreichen. Möglich auch, dass heute insgesamt seltener zur einschlägigen Thematik geforscht wird und Invertito unter HistorikerInnen zu wenig als Plattform für die Veröffentlichung wissenschaftlicher Arbeiten bekannt oder, aus welchen Gründen auch immer, zu wenig attraktiv ist. Zumindest letzteres zu ändern, geben wir uns alle Mühe.

Trotz all dieser Schwierigkeiten, die uns wohl auch in Zukunft begleiten werden, ist es unserer Meinung nach einmal mehr gelungen, zumindest für die LeserInnen mit der aktuellen Ausgabe des Jahrbuches eine breite und "attraktive" Palette von spannenden und informativen Beiträgen zu bieten: Christiane Leidinger wirft einen kritischen Blick auf die schwule Forschung zur Bewegungsgeschichte, die die Existenz und Rolle der Lesben zu Beginn der Emanzipationsbewegung in den 1970er Jahren weitgehend negiert und mit dieser Form der Geschichtsbemächtigung ihrer Meinung nach zu einer Perpetuierung der Gegensätze und Konflikte zwischen Lesben und Schwulen beiträgt. Hans-Peter Weingands Aufsatz zur Kriminalstatistik in Österreich ist, anders als es der Titel vielleicht vermuten lässt, keine trockene Zahlenwüste. Vielmehr präsentiert und kommentiert der Autor die in dieser Vollständigkeit bisher nirgends publizierten Zahlen in sehr differenzierter und eloquenter Form. Ohne Zweifel ist sein Beitrag Grundlage und Anstoß für weitere Forschungen in diesem Bereich. Ingeborg Boxhammer zeigt anhand der Presseberichterstattung zu einem Prozess wegen Unterschlagung aus den 1930er Jahren in Köln, wie die lesbische Beziehung der beiden angeklagten Frauen wesentlich zur Skandalisierung des Falles beigetragen hat. Um Skandale geht es auch im Beitrag von Gottfried Lorenz. Er richtet seinen Blick dabei auf den bisher kaum beachteten "provinziellen" Rand der Metropole Hamburg und stellt mehrere Fälle aus Harburg dar, in denen Homosexuelle, aber auch Pädophile während der NS-Zeit vor Gericht standen. Auch Claudia Schoppmann bewegt sich in ihrem biographisch orientierten Beitrag in dieser Zeit. Sie schildert eindrücklich das Schicksal lesbischer Jüdinnen, die meist dank der Hilfe ihrer Freundinnen untertauchen und so, allerdings unter schwierigsten physischen und psychischen Bedingungen, der Verfolgung durch die Nazi-Schergen entkommen konnten. Franco Battels Beitrag führt in die Schweizer Provinz der 1950er und 60er Jahre. Dabei zeigt sich, dass in dieser bäuerlich geprägten Welt, der das Konzept einer modernen homosexuellen Identität noch weitgehend fremd war, durchaus Freiräume existierten, um gleichgeschlechtliches Begehren ausleben zu können. Rüdiger Lautmann schließlich greift mit seinem Beitrag in die aktuelle Diskussion um die Entschädigung jener Homosexuellen ein, die nach dem Ende des Nationalsozialismus wegen des Paragrafen 175 auch in der Bundesrepublik verfolgt und inhaftiert wurden. Den Abschluss des Beitragsteils bildet ein kurzer Reisetipp von David Streiff für die nächsten Sommerferien. In Minusio nahe Locarno ist eine Ausstellung zu Leben und Werk Elisar von Kupffers und seines Lebensgefährten Eduard von Mayers zu sehen.

Wie immer bietet das Jahrbuch auch diesmal eine kleine Auswahl von Besprechungen aktueller Publikationen aus dem Bereich der Geschichte der Homosexualitäten.

Die Redaktion




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