Raimund Wolfert
"Gegen Einsamkeit und ‚Einsiedelei‘"

Die Geschichte der Internationalen Homophilen Welt-Organisation (IHWO), Hamburg: Männerschwarm Verlag 2009, 220 S., € 16

sorry, no cover

 

Rezension von Friedrich-H. Schregel, Köln

Erschienen in Invertito 12 (2010)

Im Jahrbuch Invertito 4 (2002) und im Ausstellungskatalog 100 Jahre Schwulenbewegung machte uns Raimund Wolfert schon mit der Geschichte der IHWO bekannt, nach diesen Überblicken folgt nun die detaillierte Darstellung auf gut 200 Seiten.

In Dänemark wurde 1953/54 die Vereinigung von 1948 gegründet, der Name bezieht sich auf das Datum der vom Kinsey-Report inspirierten ersten Idee einer Schwulen-Organisation. Axel Lundahl Madsen und Eigil Eskildsen gründeten wenig später auch die IHWO (zunächst: International Hobbyclubs World Organisation, dann International Homosexual World Organisation, später: Internationale Homophilen Welt-Organisation), beide Vereine traten – neben einigen politischen Aktivitäten wie Protestbriefen, Presseerklärungen etc. – vor allem als Sex-Versand auf. Neben einer Vielzahl von Gruppen, die sich nach der Entschärfung des §175 StGB von 1969 gründeten, wurde 1969 auch die deutsche Filiale der IHWL (Internationale Homosexuelle Welt-Liga) angemeldet, die Gruppe existierte bis 1974.

Wolfert arbeitet auf der Grundlage der IHWO-Akten und dänischer Unterlagen der Vorläufer-Organisation. Dieses Material wertet er gründlich aus, manchmal auch zu detailliert: persönliche Auseinandersetzungen, finanzielle Engpässe, Schreiben an Behörden und Regierungen werden beschrieben. Wenn auch die Aussagekraft dieser Dokumente oft gering ist, so wird hierbei doch etwas vom Alltag der Organisation spürbar. Längen sind der Darstellung auch dort zu attestieren, wo Biografien einzelner Akteure mit allen auffindbaren Einzelheiten ausgebreitet werden.

Die Ziele, die Absichten, die politische Linie der Organisation sind wenig fassbar, hier liefern die Quellen dem Verfasser nur spärlich Material – dem Verein selbst war dieser Aspekt seiner Arbeit nicht wichtig genug. Wolfert füllt diese Lücke, indem er in ausführlichen Vorworten bzw. Einleitungen Ideologisches selbst darlegt. Auf diese Weise nimmt er andererseits manches vorweg, beeinflusst den Leser, der sich aber nur schwerlich selbst ein Bild machen kann – die IHWO äußerte sich eben zu solchen Fragen wenig. Diese Vorwegnahme von Ergebnissen der Forschung lenkt die Aufmerksamkeit, schmälert die Freude an eigenen Entdeckungen beim Lesen, ordnet und beurteilt, bevor Details ausgebreitet sind.

Pornografie-Versand oder Emanzipationsgruppe – in diesem Zwiespalt arbeitete die IHWO, das macht das Buch deutlich. Es bietet aber auch den Ansatz einer Verbindung zwischen diesen zwei Polen an, wenn der Verfasser (S. 71f.) auf die Stärkung des Selbstbewusstseins hinweist, die allein von der Existenz eines Bilderversands und einer kleinen Institution ausging, die sich zuweilen politisch oder moralisch zu Worte meldete: Die Isolation der Schwulen wurde verringert, die Möglichkeit politischer Organisierung bewusst gehalten, das stete Versteckspiel ansatzweise in Frage gestellt.

Wolfert vergisst den Hintergrund der Entwicklungen in der IHWO nicht – die gesellschaftliche Situation, die Änderungen in der Rechtsprechung, die Gründung von Schwulengruppen in allen größeren Städten der Bundesrepublik. Die Mitgliedschaft der IHWO bestand primär aus Angestellten und Selbstständigen – auch hieraus mag die Politik der Organisation zu guten Teilen zu erklären sein. Ihre öffentlichen Mitteilungen waren abgewogen, sie vermieden Herausforderungen, Kritik und deutliche Worte überhaupt, der Begriff "schwul" wurde lediglich dann verwendet, wenn von den neuen studentischen Schwulengruppen die Rede war oder von provokanten Aktivitäten einzelner. Das Klubzentrum in Hamburg blieb immer Klotz am Bein – die Mitgliedschaft engagierte sich kaum, hatte aber dennoch hohe Ansprüche: Erfahrungen aus späteren Schwulenzentren wurden hier vorweggenommen. Den sich Anfang der 1970er Jahre neu bildenden Gruppen ging die IHWO nicht aus dem Weg – blieb aber ununterbrochen skeptisch ablehnend, betonte dabei das Interesse an Kooperation. Auch die Bemühungen, mit dem IHWO-Report eine bundesweite Zeitschrift auf die Beine zu stellen, werden dargestellt; wie bei so manchem Presseerzeugnis späterer Jahre fraß der wirtschaftliche Zwang den Anfangsenthusiasmus rasch, der Report erschien keine zwei Jahre.

Wolferts Buch ist nicht einfach eine weitere Detailstudie zur jüngeren Schwulenbewegung. Das Buch ist mehr – brauchbar nämlich als Muster für Untersuchungen einzelner Verbände und Organisationen aus der Schwulenbewegung. Politisches Engagement und wirtschaftliche Zwänge, eine Gruppe rühriger Leute um den Vorstand und eine große Gruppe bequemer Mitglieder – Strukturen und Nöte, die aus Vereinen aller Art bekannt sind. Zudem vermag Wolfert bei Konzentration auf die untersuchte Organisation überzeugend darzustellen, wie die Gesellschaft – inklusive die schwule Gesellschaft – die Geschicke des Vereins von außen beeinflusst.

Streiten könnte man über Wolferts Schlusswort: Der Schock über das Ende der IHWO, verursacht durch betriebswirtschaftliche Unbedarftheit, lähmte die Bewegung und stand lange Zeit bei allen Überlegungen, erneut eine Organisation zu gründen, mahnend vor Augen – so heißt es dort. Aber war es nicht gerade Mangel an Mitgliedern, an Engagement aus der Mitgliedschaft, an demokratischer Kontrolle, was den Untergang herbeiführte? Und spricht die Vielzahl lokaler und regionaler Gruppierungen nicht deutlich gegen diese Interpretation? Wolfert blickt hier zu konzentriert auf die gut 20 Jahre, die es bis zur Gründung bundesweiter Schwulenorganisationen – nämlich SVD und BVH – dauerte. Ein Generationswechsel, nicht allein in zeitlicher Hinsicht.




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