Sodomites and Urnings

Homosexual Representations in Classic German Journals. Edited and translated by Michael A. Lombardi-Nash. New York, London, Victoria (AUS): Harrington Park Press 2006, 245 S., $ 28

Cover

 

Rezension von Herbert Potthoff, Köln

Erschienen in Invertito 10 (2008)

"The future of the gay movement is best understood by searching its past" (hintere Umschlagseite des vorliegenden Bandes) - wenn dieser Satz zutrifft, dann ist es sinnvoll und notwendig, sich mit Dokumenten aus der Geschichte der homosexuellen Bewegung und Emanzipation am Ende des 19.und Anfang des 20. Jahrhunderts zu beschäftigen. Ein wesentlicher Teil dieser Geschichte hat sich in Mitteleuropa abgespielt und ist in den frühen deutschen Homosexuellen-Zeitschriften, vor allem dem Jahrbuch für sexuelle Zwischenstufen, dokumentiert. Für deutschsprachige LeserInnen und WissenschaftlerInnen ist es deshalb in der Regel kein großes Problem, sich Quellen und Informationen aus der Frühzeit der Homosexuellenbewegung zu beschaffen. Die Originalzeitschriften sind erhalten und zugänglich, wichtige Texte sind nachgedruckt. Für InteressentInnen ohne Deutschkenntnisse ist es ungleich schwieriger, sich aus den Quellen über die Anfänge der Homosexuellenbewegung zu informieren.

Den Zugang zu den frühen Texten der Homosexuellenbewegung erleichtert für englischsprachige InteressentInnen schon seit Jahren Michael A. Lombardi-Nash, der Herausgeber des vorliegenden Bandes, der gleichzeitig auch als Volume 51, Supplement Number 1 des Journal of Homosexuality publiziert wurde (2006). Lombardi-Nash hat bereits Karl Heinrich Ulrichs' Forschungen über das Rätsel der mannmännlichen Liebe ins Englische übersetzt (The Riddle of 'Man-Manly' Love), außerdem zwei grundlegende Publikationen von Magnus Hirschfeld (The Homosexuality of Men and Women und Transvestites. The Erotic Drive to Cross-Dress), und sie damit für den englischsprachigen Raum zugänglicher gemacht. Seine verdienstvollen Bemühungen setzt er nun mit der Übersetzung und Publikation von zehn weiteren Texten aus der Frühzeit der Homosexuellenbewegung fort. Ausgewählt hat er Arbeiten nicht nur deutscher Autoren, von Karl Heinrich Ulrichs über Karl Maria Kertbeny, Carl Westphal, Magnus Hirschfeld, Kurt Hiller, L.S.A.M. von Römer bis zu Karl Meier (Rolf), außerdem eine Rede von Anna Rüling. Mehrere dieser Arbeiten sind ursprünglich im Jahrbuch für sexuelle Zwischenstufen bzw. den Vierteljahresberichten des Wissenschaftlich-humanitären Komitees erschienen, eine im Archiv für- Psychiatrie und Nervenkrankheiten, eine in der Freundschaft, zwei im Kreis, eine in Capri.

Über die Repräsentativität der Auswahl kann man streiten - Adolf Brand und die Gemeinschaft der eigenen sind zum Beispiel gar nicht vertreten, obwohl sie doch einen wesentlichen Teil der frühen Homosexuellenbewegung ausmachen; nur einer von zehn Texten stammt von einer lesbischen Frau. Die thematische Breite geht über den engen Bereich der Homosexuellenbewegung hinaus: Von Ulrichs finden sich die vier Briefe an seine Verwandten, die ersten bekannten Coming-out-Bekenntnisse; Anna Rüling wird als erste bekannte lesbische Aktivistin vorgestellt; mit Westphals Aufsatz beginnt die Medizinisierung der Homosexualität. Etwas aus dem Rahmen fällt von Römers Darstellung der Homosexualität und Homosexuellenverfolgung in den Niederlanden vom 18. bis zum 19. Jahrhundert, wichtig und bemerkenswert als Pionierleistung der homosexuellen Geschichtsforschung und als früher Versuch, sich der eigenen Geschichte zu bemächtigen. Alle Texte werden von Lombardi-Nash in einer kurzen Einführung in den historischen und politischen Zusammenhang eingeordnet. Register und Bibliographie erleichtern die Benutzung und die weitere Beschäftigung mit dem Thema.

Für alle, die sich mit dem Thema der frühen Homosexuellenbewegung auseinandergesetzt haben, ist keiner der vorgelegten Texte neu, dem englischsprachigen Leser, der englischsprachigen Leserin bietet der vorliegende Band aber eine durch Dokumente belegte, zuverlässige Einführung in die Geschichte der Diskriminierung und Verfolgung, der Selbstorganisation und der Emanzipation der homosexuellen Männer und Frauen im 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts in Mitteleuropa.




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