Erwin In het Panhuis
Anders als die Andern
Schwule und Lesben in Köln und Umgebung 1895-1918

Hg.: Centrum Schwule Geschichte, Köln: Emons Verlag 2006, 281 S., inkl. CD-ROM, € 19,00

Cover

 

Rezension von Martin Lücke, Berlin/Leipzig

Erschienen in Invertito 9 (2007)

Mit Anders als die Andern hat der Kölner Bibliothekar Erwin In het Panhuis seine umfangreiche Studie über Homosexuelle in Köln und Umgebung im Wilhelminischen Kaiserreich betitelt. Wer bei dieser Titelwahl zunächst an den expressionistischen Stummfilm Anders als die Andern von Magnus Hirschfeld und Richard Oswald aus dem Jahr 1919 denkt, wird vom Autor schnell eines Besseren belehrt: Bereits 1904 verfasste der Düsseldorfer Lehrer und Schriftsteller Hermann Breuer einen Roman unter eben jenem Titel, so dass Erwin In het Panhuis vermuten kann, dass der Ausdruck "andersrum" möglicherweise rheinländischen Ursprungs ist.

Der Autor will in seiner Arbeit durch die Darstellung von "großen und kleinen Biographien und Geschichten" einen Einblick in die Lebenswelt von homosexuellen Männern und Frauen in Köln und im Rheinland geben. Das Buch arbeitet mit Einzelartikeln, die biographisch aufgebaut und mit Hintergrundinformationen (etwa zu Magnus Hirschfeld und dem WhK, zu Adolf Brand und der Gemeinschaft der Eigenen, zu so genannten Transvestitenscheinen oder zum Thema der Erpressung) angereichert sind. Dem Buch beigefügt ist eine CD-ROM, die ungefähr den doppelten Textumfang der Druckfassung im PDF-Format enthält. Auch auf der CD-ROM stehen die Biographien im Vordergrund, hier aber in eine nach Sachinhalten aufgebaute Gliederung eingebettet und so bietet sie umfangreiche zusätzliche Informationen. Die Suchfunktion ersetzt hier auf komfortable Weise ein ausführliches Register. Diese Lösung überzeugt, da die Druckfassung auf diese Weise gut lesbar bleibt und die CD-ROM einen schnellen Recherchezugriff ermöglicht.

Erwin In het Panhuis' Studie schließt eine Forschungslücke und bietet erstmals eine Lokal- bzw. Regionalstudie über homosexuelles Leben, die den Schwerpunkt auf die Zeit des Kaiserreichs legt. In bisherigen lokalgeschichtlich orientierten Arbeiten war es fast immer der Quellenlage geschuldet, dass in erster Linie Weimarer Republik und Nationalsozialismus im Mittelpunkt standen und vornehmlich die Städte Berlin, Hamburg und München betrachtet wurden. Das Innovative an Erwin In het Panhuis' Arbeit besteht vor allem darin, dass er ein Quellenkorpus erschlossen hat, das über homosexuelles Leben vor 1919 und auch außerhalb der Metropolen Auskunft gibt. Als Quellenbasis dienen dem Autor Kölner Tages- und Wochenzeitungen, Periodika der Homosexuellen-Bewegung und medizinisch-juristische Fachzeitschriften wie die von dem Kölner Kriminalpsychologen Gustav Aschaffenburg herausgegebene Monatsschrift für Kriminalpsychologie und Strafrechtsreform oder die Zeitschrift für Sexualwissenschaft. Ergänzt wird dieser Quellenfundus durch Archivalien etwa aus dem Deutschen Literaturarchiv Marbach und verschiedenen rheinländischen Archiven. Es zeigt sich, dass ein größerer und deshalb für eine historische Betrachtung auswertbarer Quellenbestand erst ab dem Jahr 1895 zur Verfügung steht: Die öffentlichen Debatten um den Strafprozess gegen Oscar Wilde sind also für die homosexuelle Geschichte im Rheinland das zentrale Datum, ab dem eine historische Rekonstruktion homosexueller Lebenswelten überhaupt erst in dichter Weise möglich wird.

Erwin In het Panhuis gliedert seine Darstellung in fünf thematische Blöcke: Zunächst werden "Schwule und lesbische AktivistInnen" betrachtet, es folgen Ausführungen zu "Literatur und Drama", zum Thema "Bildende Kunst", zum Bereich "Schwuler und lesbischer Alltag" und schließlich der Themenblock "Heterosexuelle Freunde und Feinde der Homosexuellen-Bewegung".

Als AktivistInnen nimmt der Autor die Bonnerin Johanna Elberskirchen (1864-1943), Prinz Georg von Preußen (1926-1902), den Schriftsteller Peter Hamecher (1879-1938), den Adligen Günther von der Schulenburg (1865-1939) sowie den Schuhmacher Theodor Widdig in den Blick. Die Ausführungen zu diesen Einzelpersonen sind von unterschiedlicher Länge und thematischer Dichte. Während es In het Panhuis überzeugend gelingt darzustellen, dass Johanna Elberskirchen weit mehr war als eine "Alibifrau" im WhK und dass sie zu den wenigen zählte, die das tabuisierte Thema der weiblichen Homosexualität bereits um 1900 öffentlich thematisierten, bleiben die Ausführungen zu Prinz Georg von Preußen eher blass: Dessen biographischer Bezug zum Rheinland bestand lediglich in einer in Düsseldorf verbrachten Kindheit, dem Kontakt zu Düsseldorfer Malern und Schauspielern und seiner Bestattung in einer Burg in der Nähe von Bingen. Ein genuin rheinländischer Homosexuellen-Aktivist war der Hohenzollern-Prinz also nicht.

Überzeugen können hingegen die Ausführungen zu Günther von der Schulenburg. Hier rekonstruiert In het Panhuis nach einer sorgfältigen Auswertung von Personenakten des 1865 bei Essen-Kettwig geborenen Adligen – unter anderem unter Rückgriff auf die mehr als 10.000 Blätter umfassende Akte eines gegen ihn 1909 geführten Entmündigungsprozesses –, wie es zunächst im Kölner Hohenstaufen-Bad zu einem Skandal kam, als sich Schulenburg in sexueller Absicht einem 14-Jährigen näherte. In het Panhuis zeigt auf, wie sich Schulenburg der Homosexuellen-Bewegung um Magnus Hirschfeld annäherte, das Projekt eines homosexuellen Adelsvereins verfolgte und sich schließlich als Denunziant gegen andere Adlige betätigte.

Als Kontrast zu Schulenburg lässt sich die Biographie des Schuhmachers Theodor Widdig lesen. Widdig wurde sich nach dem Besuch eines Aufklärungsvortrags im Jahr 1902 seiner Homosexualität bewusst, nahm Kontakt zum WhK auf und bot sogar an, der Homosexuellen-Organisation seine kompletten Ersparnisse von 400 Mark zu spenden (was diese dankend ablehnte). 1905 stellte sich Widdig als lebendes Schauobjekt für einen Vortrag des Psychiaters Gustav Aschaffenburg zur Verfügung. Mit der Schilderung der Vita Widdigs gelingt es In het Panhuis, die Lebensgeschichte eines homosexuellen Mannes aus den nicht-privilegierten Schichten nachzuzeichnen – ein seltener Glücksfall.

Im Themenbereich "Schwuler und lesbischer Alltag" präsentiert der Autor unter anderem die Geschichte der Transvestitin Bertha Buttgereit (1891 - nach 1980), die 1912 aufgrund eines sexualwissenschaftlichen Gutachtens von Magnus Hirschfeld und Ernst Burchard einen so genannten "Transvestitenschein" und schließlich von der Kölner Polizei einen Transvestiten-Reisepass erhielt. Etwa um diese Zeit zog Buttgereit von Berlin nach Köln, um dort ein Leben als Mann zu beginnen. 1920 gelang es Buttgereit, vor dem Amtsgericht Berlin-Mitte eine Änderung ihres Vornamens von "Bertha" in "Berthold" zu erreichen. Dies war die Voraussetzung für eine Heirat mit ihrer Partnerin. Ob es tatsächlich zu dieser Hochzeit kam, kann aufgrund fehlender Quellenüberlieferung jedoch nicht mehr ermittelt werden.

Auch den Aspekten der männlichen Prostitution und Erpressung widmet sich In het Panhuis. Er relativiert dabei die Vorstellung, dass es – wie häufig dargestellt – eine Personalunion von Erpressern und Prostituierten gegeben habe, und stellt heraus, dass sich beide häufig aus unterschiedlichen Personenkreisen rekrutierten. Zudem zeigt der Autor, dass es auch im Rheinland so genannte "Rosa Listen" gegeben hat: Er entdeckte in den Beständen des Hauptstaatsarchivs Düsseldorf eine Akte, die den Versuch des Kölner Hutfabrikanten Albert Mertés (1853-1924) dokumentiert, sich aus ebensolchen Homosexuellen-Listen streichen zu lassen.

Narrativer Leitfaden des Buches bleibt durchgängig die Präsentation von Einzelbiographien, von denen insgesamt 26 dargestellt werden. Ein solches Vorgehen birgt Gefahren und Chancen gleichermaßen. Die Aneinanderreihung einzelner Lebensgeschichten verlangt nach einem zusammenfassenden Fazit: Wodurch haben sich die Lebenswelten der vorgestellten Personen ausgezeichnet? Worin bestanden Schnittmengen der unterschiedlichen Biographien und welche Freiräume konnten sich die vom Autor plastisch beschriebenen Einzelpersonen erkämpfen? Waren sie Menschen mit agency oder in erster Linie hilflose Opfer ihrer Zeit?

Die Darstellung der Einzelbiographien ist jedoch gut geeignet, um die heuristisch sehr beachtlichen Quellenfunde auf lebendige Weise zur Geltung zu bringen. So bleibt insgesamt der Eindruck einer gut lesbaren und aufgrund der facettenreichen Quellenauswahl durch hohen Materialreichtum gekennzeichneten Arbeit zurück, der es in der Tat gelingt, einen Einblick in die Lebenswelten homosexueller Männer und Frauen in einer bisher spärlich ausgeleuchteten Zeit zu geben.




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