Beat Frischknecht
Caspar Wirz - eine "unstete Natur".
Versuch eines Porträts des Schweizer Theologen, Historikers und WhK-Aktivisten

Dieser Beitrag ist die überarbeitete Fassung eines Beitrags, der bereits in Invertito 8 erschienen ist. Aufgrund eines Versehens der Redaktion wurde im entsprechenden Jahrbuch nicht die Endfassung, sondern die erste Version des Aufsatzes abgedruckt. Nach Bitten der Redaktion um Kürzungen und Präzisierungen hatte der Autor den Text erheblich verändert und außerdem neu aufgefundenes Material eingearbeitet. Damit die zusätzliche Anstrengung nicht vergeblich war, folgt hier der Aufsatz noch einmal in der Endfassung. Wer sich die Mühe des Vergleichs macht, wird bestätigen, dass es schade gewesen wäre, den überarbeiteten Text nicht zu publizieren.

Übersicht des Beitrags

Caspar Wirz nimmt nicht nur durch seine präzisen theologischen Schlussfolgerungen, sondern auch als einziger Schweizer Obmann des Wissenschaftlich-humanitären Komitees einen wichtigen Platz in der Schwulengeschichte der Schweiz ein.

Er studierte in Basel und Berlin Theologie und war in den folgenden zwanzig Jahren an verschiedenen Pfarrämtern tätig. Seine Tätigkeit unterbrach er jedoch immer wieder durch ausgedehnte Reisen. Sein letztes seelsorgerisches Amt endete in einem totalen Fiasko. Aufgrund einer richterlichen Verurteilung hielt er sich fortan nur noch selten in der Schweiz auf. 1890 entschloss sich Wirz, sein Lebens- und Arbeitsumfeld nach Italien zu verlegen. Zuerst auf privater Basis, danach in offizieller "Mission" des schweizerischen Bundesarchivs, entfaltete er seine bis zum Lebensende fortdauernde Forschertätigkeit in den italienischen Archiven. Seine Aufgabe war es, sämtliche auf die Schweiz Bezug nehmende Aktenstücke zu eruieren, zu katalogisieren und schließlich zu kopieren. Aus dieser Tätigkeit entstanden mehrere Publikationen. 1903 verlieh die Universität Zürich Caspar Wirz den Ehrendoktortitel.

Nachdem sich Wirz schon früh mit dem Phänomen der Homosexualität auseinandergesetzt hatte, kam er kurz nach der Jahrhundertwende mit dem Wissenschaftlich-humanitären Komitee in Kontakt. Seine Mitgliedschaft zeichnete sich vor allem durch zwei bemerkenswerte Verhaltensweisen aus: Einerseits versteckte er sich nie hinter einem Pseudonym, andererseits waren die Geldbeträge, die er der Organisation zukommen ließ, jeweils außergewöhnlich hoch. Sein wichtigster Beitrag war jedoch das umfassende theologische Werk Der Uranier vor Kirche und Schrift über den Homosexuellen vor Kirche und Bibel. Zuerst 1904 im Jahrbuch für sexuelle Zwischenstufen erschienen, brachte Wirz es ein Jahr später in stark erweiterter Form als selbstständige Publikation heraus. Sein Bemühen um eine exakte, objektive und zugleich demütig offene Annäherung und Betrachtung dessen, was er "Gottes Wort" nannte, macht ihn noch heute zum Pionier.




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