Ich will, dass es das alles gibt! Homosexualität auf Schallplatte, Teil 2

Aufnahmen 1952-1976. Wiederveröffentlichung: Ralf Jörg Raber, Hambergen: Bear Family Records 2004, € 20

Cover

 

Rezension von Michael Prescher, Köln

Erschienen in Invertito 7 (2005)

Ich will, dass es das alles gibt! - der Titel der CD Homosexualität auf Schallplatte, Teil 2 nimmt Anleihe bei einem André-Heller-Lied aus dem Jahr 1973. "Denn ich will" markiert einen Wendepunkt. Nach Jahrzehnten des Totschweigens und des belustigenden Umgangs reklamiert Heller erstmals wieder, was es in den 20er Jahren schon einmal als öffentliche Forderung gab: die schwule und lesbische Liebe als selbstverständliche gleichrangige Liebe neben der heterosexuellen. Wie es vor Hellers Auftreten bestellt war um die musikalische Behandlung homosexuellen Begehrens, davon liefert die CD gleichfalls Tondokumente - insgesamt eine musikalische Zeitreise von 1952 bis 1976.

Warum hat Ralf Jörg Raber, der die CD zusammengestellt hat, gerade diesen Zeitabschnitt gewählt? Das will zunächst nicht unbedingt einleuchten. Wäre es nicht vielleicht sinnvoller gewesen, den zweiten Teil der Reihe Homosexualität auf Schallplatte ausschließlich auf die "dark ages" der 50er und 60er Jahre zu beschränken? Und warum die Zäsur 1976? Gibt es nicht einen weiteren Zusammenhang von den emanzipatorischen Aufbrüchen der 70er bis zu den großen gesellschaftlichen Durchbrüchen der 90er Jahre? Aber möglicherweise war es ja so gewollt, die alten Töne neben den neuen Tönen stehen zu lassen: auf dass die Bruchstellen, der Umschwung umso deutlicher werden.

25 Stücke hat Raber ausgegraben und zur Wiederveröffentlichung gebracht: Kabarettlieder, Chansons, Schlager - und ein Gedicht (von Heinz Erhardt). Unter den Interpretinnen und Interpreten sind bekannte Namen (Georg Kreisler, Hildegard Knef, André Heller, Udo Lindenberg, Bernd Clüver), aber auch viele unbekannte bzw. längst vergessene: die Münchner Wirtin Gisela (Jonas), die für ihre Parodien bekannter Kabarettlieder gefeiert wurde ("Aber der Novak lässt mich nicht verkommen"); der Kabarettist Klaus Günter Neumann, dessen "Schwuchtelball"-Single 1965 auf den Index kam, weil die Staatswächter in der Tunten-Lachnummer eine Verharmlosung von Homosexualität sahen; der Travestiestar Marcel André ("die Königinmutter aller Nachtschattengewächse"), der erste schwule Künstler in der BRD, der offen schwul Schallplatten veröffentlichte; der him-Journalist Sonny Costa, der 1970 mit seinem "Homo Joe" die erste von Schwulen für Schwule produzierte Platte auf den Markt brachte; das schwedische Unikum Johnny Delgada, der (als Nicht-Schwuler) sang: "Wir zwei, wir sind nicht wie die anderen".

Das informative Booklet, das mit seinen 60 Seiten fast schon ein kleines Nachschlagewerk ist, liefert zu allen der chronologisch sortierten Titel Erläuterungen. Wo Künstler und Titel unbekannt(er) sind, sind die Informationen umso ausführlicher. Zugleich sind die Einzelbeschreibungen eingefädelt in eine Gesamterzählung der gesellschaftlichen Entwicklung jener Zeit(en) der 50er, 60er und 70er Jahre. Auch das ist hilfreich und nötig, um die Perspektive mancher Beiträge einzuschätzen. Kabarettisten-Größen wie Georg Kreisler oder Ursula Herking (ihr Beitrag ist in diesem Fall nicht ganz gesichert), die man als kritische ZeitgenossInnen doch eher auf der Seite gesellschaftlicher Außenseiter wähnen möchte, waren durchaus bereit, sich Lacher auf Kosten der Homosexuellen abzuholen. Nicht umsonst, so dokumentiert das Booklet, blickt denn auch Georg Kreisler von heute aus nicht ganz so gern auf sein "Sekretär"-Lied zurück. Dabei gingen andere noch weitaus derber zur Sache. "Frivolität" war angesagt in den prüde-verklemmten 50er und auch noch 60er Jahren, und dazu brauchte es die Karikatur des (vorzugsweise männlichen) Homosexuellen, um Stimmung zu erzeugen.

Eher tragisch ist, dass es mitunter homosexuelle Künstler selbst waren, die sich mit ihren Auftritten in den Dienst anti-schwuler Ressentiments stellten: So wie Marcel André, der schon 1957 in dem Veit-Harlan-Machwerk Anders als du und ich mitgewirkt hatte und 1967 zur allgemeinen Belustigung "So warm wie ich und du" sang.

Bald darauf aber, also nach 1969, dem Regierungswechsel, der Justizreform (Novellierung des § 175), war das Klima ein anderes. Bekannte Künstler traten an die Seite der bisher nur Verachteten und Verlachten. Vor allem André Heller, der seinem "Denn ich will" auch noch ein "Mein Herr, ich liebe Sie" folgen ließ; Udo Lindenberg sang "Ganz egal, ob du'n Junge oder Mädchen bist"; Daliah Lavi wunderte sich über fehlende Toleranz ("Warum tun wir, wenn wir von Liebe reden, nur so, als gäb's nur Liebe zwischen Mann und Frau"); und Bernd Clüver (genau, der "Junge mit der Mundharmonika") sang die traurige Ballade "Mike und sein Freund". Letzteres Stück bediente freilich auch wieder ein Klischee: das des Leidens-Schwulen, der keinen Lebensausweg mehr findet. Aber gut gemeint, das immerhin unterstellt, ist in einem solchen Fall vielleicht immer noch besser als der unappetitliche Klamauk von "So schwul kann doch kein Mann sein" (als Parodie des Gitte-Haenning-Hits "So schön kann doch kein Mann sein"). Das war immerhin schon 1974. Ob es in solchem Stil auch noch weiterging, ist dann hoffentlich demnächst auf "Homosexualität auf Schallplatte, Teil 3" zu hören.




Zum Seitenanfang     Zur Übersicht von Invertito 7