Angela Steidele:
In Männerkleidern.

Das verwegene Leben der Catharina Margaretha Linck alias Anastasius Lagrantinus Rosenstengel, hingerichtet 1721. Biographie und Dokumentation, Köln/Weimar/Wien: Böhlau Verlag 2004, 250 S., 16 Abb., € 22,90

Cover

 

Rezension von Sabine Puhlfürst, München

Erschienen in Invertito 7 (2005)

Catharina Margaretha Linck, geboren am 15. Mai 1687, oder Anastasius Lagrantinus Rosenstengel, enthauptet am 7. oder 8. November 1721: Welche Gründe bewogen diese Frau dazu, ab ihrem 15. Lebensjahr als Mann verkleidet zu leben? Welches Leben führte Catharina Margaretha Linck und wie kam es zu ihrer Verurteilung, der letzten bekannten Hinrichtung einer Frau in Europa wegen so genannter "widernatürlicher" Unzucht, zeitgenössisch als Sodomie bezeichnet? Im ersten Teil ihrer Veröffentlichung liefert Angela Steidele ein detailliertes Portrait einer Frau, die im Crossdressing die einzige Möglichkeit sah, die engen Grenzen ihres Geschlechts zu überwinden. Der zweite Teil enthält eine Edition der wichtigsten Quellen, darunter eine als Broschüre gedruckte "umständliche und wahrhafte Beschreibung einer Land- und Leute-Betrügerin" sowie die erhaltenen Gerichtsakten. Eine Reihe von Abbildungen, eine ausführliche Bibliographie sowie eine Zeittafel ergänzen die Biographie.

Catharina Margaretha Linck wurde als uneheliches Kind geboren. Ihre Mutter war Witwe und hatte sich als Marketenderin mit einem Soldaten eingelassen. Mutter und Tochter tauchten nachweislich 1696 in Glaucha bei Halle auf. Dort fand die Mutter Aufnahme und Arbeit in dem erst kurze Zeit zuvor von Pastor August Hermann Francke, einem prominenten Pietisten, gegründeten Waisenhaus. Knapp vor ihrem 13. Lebensjahr verließ Catharina das Waisenhaus und kam bei einem Knopfmacher und Kattundrucker in Halle unter. Im Herbst 1702 oder im Frühjahr 1703 verließ sie Halle und wanderte nach Calbe, einer kleinen Stadt, 55 Kilometer von Halle entfernt. Hier vollzog sie die entscheidende Veränderung in ihrem Leben, indem sie sich Männerkleidung verschaffte und das erste Mal als Mann auftrat.

In ihrem späteren Inquisitionsprozess gab sie zwei Gründe für den Geschlechtertausch an: einmal, dass sie keusch leben wollte, zum anderen, dass dies "ja mehr WeibsLeuthe getahn" hätten. Steidele vermutet als tatsächliches Motiv Armut: Fast alle heute bekannten Frauen, die sich als Männer ausgaben, entstammten der sozialen Unterschicht und versuchten, durch den Kleidertausch soziale Anerkennung zu finden und der Armut zu entfliehen. Daneben spielten sicherlich weitere Gründe eine Rolle wie z.B. Abenteuer- und Reiselust, Abneigung gegen die Frauen gesellschaftlich vorgegebenen Lebenskonzepte oder auch erotische Gründe, insbesondere die Lust an anderen Frauen. Steidele vermutet, dass Catharina Lincks Entscheidung eine Mischung aus diesen verschiedenen Motiven war.

Um ein Leben als Mann führen zu können, musste Catharina Linck mit ihrem bisherigen Leben vollständig brechen. Sie schloss sich 1703 einer radikalpietistischen Täufersekte an, ließ sich von der Prophetin der Gruppe noch einmal taufen, auf den Namen Anastasius Lagrantinus Rosenstengel, und wirkte - allerdings recht glücklos - zwei Jahre lang als Prophet dieser Gruppe. 1705 ließ sie sich als brandenburg-preußischer Soldat anwerben. Eine Desertion im Frühsommer 1708 wäre Catharina Linck fast zum Verhängnis geworden. Indem sie sich kurz vor der Hinrichtung als Frau "outete", konnte sie gerade noch ihren Kopf aus der Schlinge ziehen. Mit einer Anstellung bei einem Universitäts-Tuchmacher in Halle fand ihr unstetes Soldatenleben 1712 ein Ende.

Als sie jedoch in Männerkleidern von einem Werberkommando gefangen genommen wurde, half dieses Mal das "Outing" nicht weiter; erst durch Intervention von Pastor Francke wurde Catharina Linck zwar freigelassen, aber vom Rat der Stadt Halle wohl dazu ermahnt, sich künftig ihrem Geschlecht gemäß zu kleiden. Da Catharina nicht dazu bereit war, als Frau zu leben, verließ sie Halle und begab sich im Frühjahr 1717 nach Halberstadt. Dort lernte sie die 19-jährige Catharina Margaretha Mühlhahn kennen und lieben. Am 12. September heirateten die beiden. Über die Gründe kann Steidele nur spekulieren: Vielleicht war Catharina Linck es leid, ständig ihre Umgebung zu wechseln; vielleicht glaubte sie, in Catharina Mühlhahn die Frau gefunden zu haben, die ihr ihre Existenz als Anastasius Rosenstengel sicherte. Auch die Motive Mühlhahns bleiben im Dunkeln. Im späteren Inquisitionsprozess leugnete sie, gewusst zu haben, dass ihr Mann eine Frau war. Vermutlich hatte sich Mühlhahn in Catharina Linck verliebt, in ihren, wie Steidele es formuliert, "spielerischen Umgang mit Geschlecht, in ihr Abenteuertum, in ihr gutes Aussehen" (S. 71). Wahrscheinlich fand sie schnell heraus, dass es sich bei Anastasius um eine Frau handelte. Nach einiger Zeit verließ das Ehepaar Halberstadt und begab sich auf Wanderschaft bzw. Betteltour. Um den Lebensunterhalt zu sichern, beschlossen die beiden, sich in Münster im Jesuitenkolleg im katholischen Glauben unterweisen zu lassen. Nach Taufe und katholischer Eheschließung wurden sie aber nicht weiter unterstützt und begaben sich erneut auf Wanderschaft. Schließlich kehrte Catharina Margaretha Mühlhahn zu ihrer Mutter nach Halberstadt zurück, während Anastasius sich wieder auf Wanderschaft begab und erneut zum Protestantismus konvertierte. Als er/sie 1720 zurückkehrte, um seine/ihre Ehefrau abzuholen, flog das falsche Geschlecht bei einem handfesten Streit mit der Schwiegermutter auf. Die corpora delicti - Lederdildo und Horn - brachte die Schwiegermutter zum Stadtgericht und erstattete Anzeige.

Die Urteilsfindung war kompliziert und liest sich fast wie ein Krimi. Nach einem guten halben Jahr der Vernehmungen schickte das Halberstädter Stadtgericht das Aktenpaket an die Universität Duisburg, wo vom Dekan der juristischen Fakultät, Caspar Theodor Summermann, das Urteil entworfen wurde. Summermanns Urteilsspruch war zweigeteilt: Für Catharina Linck forderte er ein Todesurteil (Hinrichtung durch den Strang und anschließende Verbrennung), während er für Catharina Mühlhahn zwecks Wahrheitsfindung die Folter befürwortete.

Summermanns Gutachten sowie sämtliche Inquisitionsakten übersandte die Halberstädter Regierung zur Bestätigung an König Friedrich Wilhelm I. nach Berlin. Die Halberstädter Räte schlugen für Linck den Tod durch Enthauptung vor und milderten die Folter für Mühlhahn etwas ab. Steidele sieht in diesem Vorschlag "einen Hauch aufklärerischer Gesinnung" (S. 117). Bevor der König die Akten in Händen hielt, wurden sie zunächst einem Kollegium von Kriminalräten vorgelegt. Aufgrund von dessen Gutachten beschloss der Geheime Rat einen Urteilsvorschlag, den er dem König vorlegte. Friedrich Wilhelm I. behielt sich immer das letzte Wort vor, prüfte persönlich das Strafmaß und verschärfte es in der Regel.

Das Interessante am Fall Linck/Mühlhahn war, dass die Kriminalräte sich in ihrer Urteilsfindung nicht einigen konnten. Während die Mehrheit für Tod durch den Strang plädierte, bezweifelte eine Minderheit, dass es sich in diesem Fall überhaupt um Sodomie handelte, da sie der Meinung war, mit einem Lederdildo sei eine wirkliche Sodomie nicht möglich. In ihrem Sondervotum gingen die Vertreter dieser Auffassung sogar noch einen Schritt weiter, indem sie generell daran zweifelten, dass Frauen überhaupt fähig seien, sodomitisch zu handeln. Allenfalls könnten sie mit einem männlichen Tier sodomitisch verkehren. Außerdem sei es bei dem Sexualverkehr der beiden Frauen nie zu einer Ejakulation gekommen, d.h. es sei kein Sperma 'verschwendet' worden, was in Sodomieprozessen gegen Männer zur lebensentscheidenden Frage wurde. Folglich sah das Sondervotum für Catharina Linck lediglich Schläge sowie lebenslanges Zuchthaus vor.

Für Angela Steidele bedeutet dieses Sondervotum eine entscheidende Abkehr von der früheren juristischen Einschätzung der so genannten Unzucht zwischen Frauen. Die phallozentrischen Konzepte von Sexualität führten die Behauptung, Frauen könnten miteinander Sex haben, ad absurdum. Was Mühlhahn betraf, so waren sich die Kriminalräte einig; sie schlugen, indem sie drei Jahre Zucht- oder Spinnhaus als ausreichende Strafe befanden, ein milderes Urteil vor, denn Mühlhahn galt ihnen als Verführte.

Anschließend wurde der Fall im Geheimen Rat besprochen, dessen Beschluss insofern überraschend war, als er sich dem Minderheitsvotum der Kriminalräte anschloss. Blieb als letzte Instanz Friedrich Wilhelm I. Zunächst folgte er der Empfehlung des Geheimen Rates, erließ also ein für ihn ungewöhnlich mildes Urteil. Aber er zögerte mit der Urteilsverkündung und wandelte das Urteil fünf Tage später doch in Tod durch das Schwert für Catharina Linck um. Die Hinrichtung fand Anfang November 1721 statt. Catharina Mühlhahn blieb bis 1724 im Zuchthaus, heiratete 1726 erneut und gebar drei Kinder. Sie starb 1776 mit 78 Jahren.

Im letzten Kapitel ihres Buches geht Angela Steidele unter der Überschrift "Transidentität und Homosexualität" der Frage nach, ob man Catharina Linck als vorzeitige Lesbe, stone butch oder als Transmann bezeichnen könne. Repräsentiert ihr Crossdressing und ihr sexuelles Verlangen nach Frauen ein Verhaltensrepertoire, vergleichbar mit dem von lesbischen Lebensentwürfen im 20. Jahrhundert, oder spiegelt sich in ihrer Persönlichkeit eher das Selbstkonzept heterosexuell begehrender Transmänner? Catharina Linck leugnete nie, eine Frau zu sein, noch scheint sie ihren - weiblichen - Körper gehasst zu haben. Nach Steideles Interpretation wählte Catharina Linck den Lebensweg als Mann aus rein pragmatischen, sozialen Gründen. Weil aber zu dieser Zeit die Geschlechterrollen noch nicht aus der Natur der Körper interpretiert wurden, musste sich Linck nicht fragen, ob sie denn keine Frau war, bloß weil sie nach Lebensweisen verlangte, die Frauen erst später - im 19. Jahrhundert - per Definition gar nicht wollen konnten. Sie nutzte lediglich die sich ihr bietende Chance zu einem "besseren Leben" als (Ehe-)Mann. Somit ist sie kein Beispiel für Transsexualität, eher lässt sich an ihrem Fall studieren, "dass Transsexualität und Transidentität gedankliche Konstruktionen von Gender und Geschlecht voraussetzen, die erst seit Ende des 18. Jahrhunderts entwickelt wurden" (S. 146). Dagegen stellt Steidele fest, dass man Catharina Linck durchaus als vorzeitige Lesbe bezeichnen kann. Ihr ausschließlich auf Frauen gerichtetes Begehren ähnelt Lebenskonzepten lesbischer Frauen im 20. Jahrhundert. Allerdings war Catharina Linck sicherlich keine Lesbe im identitätsstiftenden Sinne. So machte sie in ihrer Verteidigung vor Gericht den Teufel nicht nur für die Ehe mit Catharina Mühlhahn, sondern für ihre Sexualität überhaupt verantwortlich. Steidele interpretiert diese Aussage als Beleg, dass Catharina Linck sich anders als andere Frauen erlebte. Als Kind ihrer Zeit musste sie ihr weibweibliches Begehren negativ beschreiben und fand dafür das Bild des Teufels.

Angela Steideles Biographie zeichnet sich durch Genauigkeit und Detailtreue aus. Es gelingt ihr, spannend und gleichzeitig informativ das Bild einer ungewöhnlichen Frau zu zeichnen. Zwar ist sie an vielen Stellen auf Spekulationen angewiesen, aber diese weichen nicht von den durch die Quellen vorgegebenen Möglichkeiten ab und werden immer als solche gekennzeichnet. Der Lebensweg Catharina Lincks ist sicherlich kein Einzelschicksal. Wie Steidele in ihrem Nachwort anmerkt, wäre es wünschenswert, weitere Fälle in den Archiven aufzustöbern und wissenschaftlich auszuwerten, um so letztendlich ein Stück deutscher Sozial-, Geschlechter- und Sexualgeschichte zu schreiben, das bislang noch sehr im Dunkeln liegt. Mit ihrer Arbeit, die für den deutschen Sprachraum eine Pionierleistung darstellt, hat Steidele den Anstoß zu weiteren Forschungen gegeben.

Angela Steidele wurde für ihr Buch der Gleimpreis 2005 verliehen, eine alle zwei Jahre vom Förderkreis Gleimhaus in Halberstadt verliehene Auszeichnung für bedeutende Beiträge zur Erschließung der Kulturgeschichte des 18. Jahrhunderts.




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