Helmut Puff:
Sodomy in Reformation Germany and Switzerland, 1400-1600

(The Chicago Series on Sexuality, History, and Society),
Chicago/London: University of Chicago Press 2003, 311 S., $ 24 / € 47,40

Cover

 

Rezension von Jakob Michelsen, Hamburg

Erschienen in Invertito 7 (2005)

Helmut Puff hat sich seit langem in besonderem Maße um die Erforschung der Geschichte gleichgeschlechtlicher Sexualität (zeitgenössisch: "Sodomie") in Mittelalter und Früher Neuzeit verdient gemacht. Mit diesem Buch legt er mehr als eine Zusammenfassung seiner zahlreichen Aufsätze vor - es handelt sich um einen Meilenstein der Sodomiterforschung, basierend vorwiegend auf süddeutschen und deutsch-schweizerischen Quellen des 14. bis 16. Jahrhunderts.

Das Buch teilt sich - nach einer knappen, aber präzisen methodisch-theoretischen Einleitung - in zwei Großkapitel: Das erste, "Acts and Words", handelt vom Beginn der obrigkeitlichen Sodomiterverfolgung im deutschen Sprachgebiet ab Ende des 13. Jahrhunderts, von den Diskursen theologischer und juristischer Experten zum Thema Sodomie sowie von geographischen und sozialen Orten gleichgeschlechtlicher Sexualität. Im zweiten Teil, "Acting Words", untersucht Puff den diffamatorischen Gebrauch der Sodomie im 15. und 16. Jahrhundert - von Alltagssituationen über politische Propaganda, Streitigkeiten unter Humanisten, antiklerikale Polemik und reformatorische Flugschriften bis zu den Verschiebungen in den Diskursen über Sexualität in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts im Kontext einer neuen protestantischen Ehetheologie. Helmut Puff gelingt es, auf Grundlage einer umfangreichen und vielfältigen Quellenbasis - u.a. Justizakten, Chroniken, Predigten, juristische Ratgeber und Flugschriften -, die Bedeutung von Sodomie in der Gesellschaft des 15. und 16. Jahrhunderts zu erhellen.

Bekanntermaßen überwiegt in allen relevanten Quellengattungen die Überlieferung zur Sodomie zwischen Männern (und von Männern mit Tieren), sexuelle Handlungen zwischen Frauen werden wesentlich seltener erwähnt. Puff achtet darauf, dort, wo eindeutig nur von Männern die Rede ist, dies im Sprachgebrauch kenntlich zu machen, bezieht weibliche Sodomie in die Untersuchung ein, wo immer es die Quellenlage gestattet, und reflektiert dabei die geschlechtsspezifischen Unterschiede im gesellschaftlichen Umgang mit gleichgeschlechtlicher Sexualität ebenso wie die Gemeinsamkeiten. Da die zahlreichen interessanten Ergebnisse des Buches hier nicht alle referiert werden können, seien einige Punkte herausgegriffen.

Die gerichtliche Verfolgung von Sodomie seit dem späten Mittelalter verknüpft Puff - in Anlehnung an Robert Ian Moores Analyse der Herausbildung einer "persecuting society" - mit dem verstärkten Anspruch weltlicher Obrigkeiten (zunächst insbesondere der städtischen), in ihrem Bereich einen an den christlichen Normen orientierten Lebenswandel durchzusetzen. Die Verfolgung von Sodomitern war demnach Teil der Festigung obrigkeitlicher Strukturen auf dem Weg zur modernen Staatlichkeit. Die Bewertung der Sodomie als schwerster aller sexuellen Normverstöße und als todeswürdiges Verbrechen beruhte auf der kirchlichen Sündenlehre. Im Gefolge der Kirchenreformen und der Ketzerverfolgungen des hohen Mittelalters unternahmen Theologen durch Predigten und volkssprachliche Erbauungsliteratur verstärkte Anstrengungen, ihre Lehren auch für Laien und Laiinnen zur verbindlichen Richtschnur zu machen. Das Ergebnis, so Puff: "Lay concepts of an honorable body politic and the theological condemnation of sodomy reinforced each other." (S. 27)

Die Strafpraxis beschränkte sich nördlich der Alpen jedoch auf punktuelle und unsystematische Zugriffe, eine systematische Verfolgung wie in den italienischen Metropolen Florenz und Venedig gab es nicht. Auf der anderen Seite war mann-männlicher Sex im deutschen Sprachgebiet offenbar kein massenhaft praktizierter Bestandteil männlicher Sozialisation, wie es Michael Rocke für Florenz aufgezeigt hat. Hier könnten weitere Überlegungen über die Gründe für derartige Unterschiede ansetzen, zum Beispiel über mögliche Zusammenhänge zwischen Urbanisierungsgrad und gesellschaftlichem Umgang mit normwidriger Sexualität. Allzu pauschale Thesen hierzu - wie John Boswells Behauptung von Städten als Orten von Freiheit und Abenteuer - werden von Puff zu Recht kritisiert, denn die Stadt war ebenso ein Ort verdichteter obrigkeitlicher und sozialer Kontrolle.

Die Situationen und Orte gleichgeschlechtlichen Sexes waren, wie vor allem in den Justizakten sichtbar wird, meist sehr alltäglich, etwa der eigene häusliche Bereich oder Herbergen. Viele der sexuellen Verhältnisse zwischen Männern waren von einem altersmäßigen und sozialen Gefälle gekennzeichnet, ein erheblicher Teil aber nicht. Puff warnt daher angesichts der Vielfalt sexueller Begegnungen vor einer allzu schematischen, dichotomischen Gegenüberstellung von "vormodernen" hierarchischen Arrangements einerseits und modernen, dem Ideal nach egalitären sexuellen Verhältnissen andererseits, wie sie von Forschern wie Randolph Trumbach vorgenommen wurde. Allgemein plädiert er dafür, die Geschichte mittelalterlicher und frühneuzeitlicher Sodomiter nicht nur teleologisch auf den modernen Homosexuellen bezogen zu schreiben, sondern den Untersuchungszeitraum als eigenständigen Forschungsgegenstand zu behandeln.

Ein Problem, mit dem ZeitgenossInnen immer wieder rangen, war die Benennung der Sodomie bei gleichzeitiger Einschränkung des Sprechens darüber. Vor allem Prediger und geistliche Autoren, die für ein Laienpublikum schrieben, waren erfindungsreich im Kreieren von Umschreibungen, vielsagenden Andeutungen und anderen Strategien, das "Laster" zur Sprache zu bringen, ohne detailliertes Wissen darüber weiterzuverbreiten und damit die Versuchung zu fördern. Für Humanisten war die Vermittlung bestimmter antiker Texte im Schulunterricht ein Stolperstein, den beispielsweise Erasmus von Rotterdam zu umgehen suchte, indem er empfahl, eine einschlägige Vergil-Stelle in eine Erläuterung über Freundschaftskonzepte einzubetten, um ihr das "Anstößige" zu nehmen. Inwieweit diese Strategien bei den RezipientInnen aufgingen, ist schwer zu sagen - bei den Lateinschülern zum Beispiel ist es recht wahrscheinlich, dass der eine oder andere den Braten gerochen haben dürfte.

Auf allen sozialen Ebenen kann festgestellt werden, dass der Vorwurf der Sodomie geeignet war, vehemente Reaktionen hervorzurufen. Sodomie war so negativ besetzt, dass es unmöglich war, sich positiv mit ihr zu identifizieren. Sodomiter waren vielmehr immer die anderen, etwa Andersgläubige und Fremde, vielerorts vor allem Italiener. Das Gegenbild zum moralisch verdorbenen "Welschen" war der angeblich "unschuldige" Germane bzw. Deutsche - ein Konstrukt, das als nationales Stereotyp bis in die neueste Zeit hinein fortwirkte.

Vor diesem Hintergrund eignete sich der Vorwurf der Sodomie hervorragend als polemische Waffe. Neben einigen Beispielen für Instrumentalisierungen gegen politische Gegner geht Puff besonders ausführlich auf Diffamierungen in kirchenreformerischem und reformatorischem Zusammenhang ein. Die protestantischen Theologen, allen voran Martin Luther, konnten in ihrer Polemik gegen Priesterzölibat, Keuschheitsgelübde und die ihrer Ansicht nach daraus resultierenden sexuellen Sünden an weit verbreitete antiklerikale Ressentiments anknüpfen. Sie verliehen diesem Vorwurf zusätzliche Überzeugungskraft, indem sie ihn mit dem ebenso populären Stereotyp der sodomitischen "Welschen", deren Oberhaupt der Papst sei, verbanden. Im Zuge der Aufwertung der Ehe, die als gottgewollte Lebensform für alle Menschen propagiert wurde, erfolgte in der protestantischen Sexualtheologie eine Verschiebung vom Gegensatz "natürlich/widernatürlich" hin zur Dichotomie "ehelich/nichtehelich". Die Verurteilung der Sodomie blieb bestehen, wurde aber in einen neuen Kontext überführt. Puffs Überlegungen berühren sich hier, bei anderer Akzentsetzung, teilweise mit Tilmann Walters Buch Unkeuschheit und Werk der Liebe, worin Sodomie jedoch nur am Rande behandelt wird (vgl. die Rezension in Invertito 2 [2000]).

Puffs kluges und reichhaltiges Buch markiert in der Erforschung mittelalterlich-frühneuzeitlicher Sodomie im deutschen Sprachgebiet einen außerordentlichen Fortschritt. Die sexualitätsgeschichtlichen Ergebnisse werden überzeugend und aufschlussreich mit anderen Forschungsfeldern verknüpft, etwa mit der Reformationsforschung - wobei auch deutlich wird, dass Forschung über normwidrige Sexualität kein "Randthema" ist, sondern ins Zentrum historischer Prozesse führt. Hervorzuheben ist nicht zuletzt der dichte, dabei äußerst angenehm zu lesende Schreibstil. Durch souverän-kritische Aneignung "postmoderner" Theoriedebatten bei gleichzeitiger gründlicher Quellenanalyse gelingt es Puff, den linguistic turn - die Anwendung poststrukturalistischer sprachwissenschaftlicher Methoden in der Geschichtswissenschaft - nicht zur blutarmen Abstraktion werden zu lassen, sondern mit dem Denken und Handeln lebendiger Menschen in fruchtbare Verbindung zu bringen. Das Ergebnis setzt Maßstäbe. Es bietet neue Grundlagen und vielfältige Anregungen für künftige Forschungen.




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