Invertito – Jahrbuch für die Geschichte der Homosexualitäten

Liebe Leserinnen und Leser!

die Geschichte gleichgeschlechtlichen Begehrens und Lebens ist nicht nur eine Geschichte der Diskriminierung und Verfolgung, sondern auch eine Geschichte der Gruppenbildungen und Zusammenschlüsse - sei es zur Freizeitgestaltung, zur Erleichterung der Anknüpfung von Partner- und Freundschaften oder für den Kampf um politische und gesellschaftliche Akzeptanz. Für Selbstvergewisserung, Identitätsbildung und Emanzipation spielen Gruppen, Vereine, Netzwerke eine wesentliche Rolle. Das gilt zwar nicht nur für Lesben und Schwule, aber für sie in einer häufig offen feindseligen oder subtil heteronormativen Umgebung ganz besonders. Mit der Entwicklung eines homosexuellen Selbstverständnisses entstanden Beziehungsstrukturen unterschiedlicher Art. Diese Netzwerke spiegeln die politische und soziale Situation, in der homosexuelle Männer und Frauen lebten; sie spiegeln auch den Grad an Diskriminierung oder Akzeptanz homosexueller Menschen durch die Gesellschaft. Deshalb lohnt es sich, einen genaueren Blick auf diesen Teil unserer Geschichte zu richten. Er ist Schwerpunktthema dieser Ausgabe von Invertito.

Rainer Maaß' Artikel über einen Darmstädter Juristen bietet einen Einblick in Freundschaftsbeziehungen, Möglichkeiten und Gefährdungen homosexuellen Lebens in den 1920er Jahren abseits der Metropolen und ihren funktionierenden Subkulturen. Der Beitrag von Gerhard Grühn ist eine Darstellung zur jüngsten Geschichte. Der Autor zeichnet als Zeitzeuge die Geschichte der fünf Kölner Homosexuellen-Zentren nach, von den Anfängen in den 1970er Jahren bis Mitte 2003, als das SCHULZ, zeitweise das größte Schwulen- und Lesbenzentrum Europas, geschlossen wurde. Ein weiterer Beitrag, der für diesen Heftschwerpunkt vorgesehen war, schildert eine stark durch homoerotische Komponenten geprägte Gruppe von Vertretern der bündischen Jugend, die vor dem NS-Regime ins Exil geflüchtet waren. Dieser Aufsatz kann aus organisatorischen Gründen erst im nächsten Heft erscheinen.

Wie gewohnt finden sich neben weiteren Forschungsbeiträgen eine Reihe von Rezensionen zu interessanten Neuerscheinungen. Wir haben in diesem Jahrbuch eine neue Rubrik aufgenommen: Es sollen in loser Folge lesbische, schwule und schwul-lesbische Archive, Museen und Dokumentationszentren vorgestellt werden. Den Anfang machen das Spinnboden-Archiv in Berlin und das Internationaal Homo/Lesbisch Informatiecentrum en Archief (IHLIA) in Amsterdam und Leeuwarden. Darüber hinaus werden wir künftig häufiger über Tagungen und Forschungsprojekte berichten, wie in diesem Heft Herbert Potthoff über eine Tagung zu Lesben und Schwulen in der DDR. Mit dem Nachruf auf Pierre Seel würdigt Martin Sölle einen engagierten Zeitzeugen der nationalsozialistischen Homosexuellenverfolgung im besetzten Frankreich.

Wir legen das aktuelle Jahrbuch erst ein halbes Jahr nach dem üblichen Erscheinungsdatum vor. Organisatorische Schwierigkeiten haben ein pünktliches Erscheinen unmöglich gemacht. Zur besseren Arbeitsaufteilung haben wir das Redaktionsteam vergrößert: Dr. Heike Schader und Jakob Michelsen, beide Hamburg, wurden als neue Redaktionsmitglieder gewonnen.

Wir planen, im Herbst 2006 den 8. Band von Invertito zu publizieren, und werden damit wieder im üblichen Erscheinungsrhythmus sein. Für die kommenden Jahrbücher werden wir nur noch in Einzelfällen ein Schwerpunktthema setzen. Die bisherigen Ausgaben haben gezeigt, dass es schwer ist, genügend ansprechende Beiträge zu speziellen Themen einzuwerben. Außerdem ist es uns nun möglich, größere Aufsätze, die wir interessant finden, unabhängig von ihrem Thema anzunehmen. Beiträge jeder Art aus allen Bereichen der Geschichte der Homosexualitäten sind immer erwünscht. Es ist uns bewusst, dass in diesem Heft lesbische Themen unterrepräsentiert sind. Wir wiederholen deshalb unsere dringende Bitte an Autorinnen (und Autoren), uns entsprechende Arbeiten zur Publikation einzureichen.

Die Redaktion




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