Stefan Micheler / Heike Schader
Gleichberechtigung als Ideal?
Partnerschaftsmodelle Männer begehrender Männer und Frauen begehrender Frauen in den 20er Jahren

Übersicht des Beitrags

Während der 20er Jahre setzte sich im deutschen Sprachraum ein Ideal gleichberechtigter gleichgeschlechtlicher Beziehungen durch, das grundlegend an die Annahme einer homosexuellen Identität gebunden war und sich als Konkurrenzmodell zur bürgerlichen Ehe verstand. Auf kulturelle Vorläufer konnte dabei nicht zurückgegriffen werden, das Liebesideal der romantischen Ehe wurde hingegen von vielen gleichgeschlechtlich begehrenden Männern und Frauen übernommen.

Für gleichgeschlechtlich begehrende Menschen war die Gleichwertigkeit von BeziehungspartnerInnen ein wichtiger Aspekt in den diskutierten Konzepten. Die Mehrheit der Männer begehrenden Männer, die sich in den "Homosexuellen-Zeitschriften" der 20er Jahre äußerten, lehnte das Modell des pädagogischen Eros als Bindung zwischen älterem Mann als Lehrer und jüngerem Mann als Schüler ab. Die Inszenierung hierarchischer Verhältnisse spielte für Frauen begehrende Frauen eher in der literarischen Fiktion als in der Lebenspraxis eine Rolle.

Die Frage nach der Verteilung "geschlechtsimmanenter Anteile", mit der sich gleichgeschlechtlich begehrende Menschen aufgrund der Theoriebildung von Sexualwissenschaftlern und gängiger gesellschaftlicher Stereotype beschäftigen mussten, hatte auch Einfluss auf die Vorstellungen von Bindungsmöglichkeiten: Während Frauen begehrende Frauen die Vorstellung der Umkehr des Geschlechtscharakters bei gleichgeschlechtlich begehrenden Menschen positiv aufnahmen und in das Begehrensmodell von viriler und feminier homosexueller Frau integrierten - wobei aber alle homosexuellen Frauen außerhalb der Bindung als viril galten - lehnten die meisten Männer begehrenden Männer die Vorstellung von Geschlechterpolarität in mann-männlichen Partnerschaften ab.

Gleichgeschlechtlich begehrende Menschen entwickelten in den 20er Jahren vielfältige Formen des Umgangs mit sexueller Treue und dem Erlöschen von sexuellem Begehren in Beziehungen, die auch in unserer heutigen Gesellschaft gibt. Unter den Modellen befinden sich einige, die in dieser Form für gemischtgeschlechtliche Partnerschaften noch nicht formuliert worden waren.




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