Jürgen Müller:
Ausgrenzung der Homosexuellen aus der "Volksgemeinschaft"

Die Verfolgung von Homosexuellen in Köln 1933-1945,
Köln: Emons Verlag, 2003, 304 S., € 22,50

Rezension von Albert Knoll, München

Erschienen in Invertito 5 (2003)

In der Schriftenreihe des NS-Dokumentationszentrums der Stadt Köln ist als Band 9 die Dissertation von Jürgen Müller mit dem Titel Ausgrenzung der Homosexuellen aus der "Volksgemeinschaft" erschienen. Müller stützt seine Forschungsergebnisse auf intensive Quellenarbeit zu Köln, der damals drittgrößten Stadt des Reiches, und ihm gelingt es, das teils konkurrierende, teils kooperierende Vorgehen von Kripo, Gestapo und Justiz schlüssig zu analysieren. Er beweist, dass es keine einheitliche Verfolgung von homosexuellen Männern im "Dritten Reich" gegeben hat - eine Darstellung, wie sie bisher teils aus Bequemlichkeit, teils aus Mangel an Quellenmaterial häufig zu finden ist. In keiner anderen fachspezifischen Veröffentlichung habe ich bislang die Verschärfung der Strafrechtstatbestände übersichtlicher erläutert und in den Kontext der Ausgrenzungspolitik eingebettet gefunden. Die Darstellung lässt keine Fragen hinsichtlich der unterschiedlichsten Formen der Verfolgung homosexueller Männer offen. Als Forschungsgrundlage dienten die Bestände der Kölner Justiz, der Kriminalbiologischen Sammelstelle Köln, Akten der Kripo Köln zur "Vorbeugenden Verbrechensbekämpfung" und der Düsseldorfer Stapoleitstelle, die eine differenzierte Analyse des Themas erlaubten. Ein großer Teil der untersuchten Fälle basiert auf den Kölner Sonderaktionen vom Sommer/ Herbst 1938, als die repressive Kriminalpolitik im Zuge der Ermittlungen gegen den Kölner NS-Funktionär Bartels intensiviert wurde. Infolgedessen wurden die noch bestehenden halböffentlichen Strukturen der Subkultur zerschlagen.

Müller geht es um die Differenzierung der Verfolgungsstrategie der Nationalsozialisten und ihre Instrumentalisierung zu politischen Zwecken. Er stellt im Überblick die allgemeinen ideologischen, politischen, strafrechtlichen und organisatorischen Rahmenbedingungen dar, unter denen die Verfolgung der männlichen Homosexuellen zu einem wirkungsvollen Mittel der Gleichschaltung wurde und weist auf die im Kaiserreich und in der Weimarer Republik angelegten Vorläufer hin. Der von ihm so bezeichnete "gewöhnliche Homosexuelle", der als erstmalig Verhafteter in der Regel mit einer milden Gefängnisstrafe rechnen konnte, galt als besserungsfähig. Eine Erziehung durch Gefängnishaft sollte das normabweichende Verhalten verändern und die Unterdrückung seiner individuellen Persönlichkeit eine Eingliederung in die willige Volksmasse ermöglichen. Wenn alle Repressionen versagten, wurde der Straftäter als "gefährlicher Homosexueller" ausgegrenzt. Als "gefährlich" für die Volksgemeinschaft galten Stricher, als "Jugendverderber" bezeichnete Männer, denen durch ihre Kontakte mit unter 21-Jährigen die "seuchenartige Verbreitung" der Homosexualität unterstellt wurde, und "rückfällige Homosexuelle", die mehrmals aufgegriffen worden waren und als nicht "besserungsfähig" angesehen wurden. Sie standen im Zentrum der Verfolgungs- und Strafverschärfungsmaßnahmen. Da sie als nicht erziehbar galten, wendeten die Machthaber eine im Lauf der Jahre stufenweise radikalisierte Ausgrenzung an. Es bleibt zu untersuchen, ob diese Entwicklung reichsweit Verbreitung fand.

Mit der Neuordnung des NS-Strafrechts wurde der Wechsel vom Tat- zum Täter-Strafrecht und in gleicher Weise die Hinwendung von einem Zweck- zu einem Vergeltungsstrafrecht eingeleitet, die Verfolgung der "verbrecherischen Persönlichkeit" wurde vorrangig. Gesinnung und Schuld wurden zu zwei zentralen Komponenten bei der Beurteilung des Straftäters. Die Typisierung erfolgte häufig auf Grund von willkürlichen und nicht auf Tatsachen basierenden Entscheidungen. Stets galt der Ältere als der "Verführer" und der Jüngere als der "Verführte"; Beteuerungen, dass der gleichgeschlechtliche Verkehr im Einvernehmen stattgefunden habe, wurde bei einem gewissen Altersunterschied nicht geglaubt. Die Opfer, von Müller in "offene" und "versteckte" homosexuelle Männer unterschieden, waren einem steigenden Druck seitens der Verfolgungsbehörden wie auch der Gefahr der Denunziation durch Verwandte, NachbarInnen oder ArbeitskollegInnen ausgesetzt.

Im Kräfteverhältnis von Partei, Polizei und Justiz zeigt sich, dass mit dem Polizeirecht mühelos Justizentscheidungen aufgehoben werden konnten. Heinrich Himmler wertete die hohe Aufklärungsquote der Straftaten als Erfolg seiner Polizeibehörde. "Jede eingestandene homosexuelle Handlung galt - auch wenn der Mittäter nicht bekannt war - als aufgeklärt." (S. 135). Die listenmäßige Erfassung der homosexuellen Wehrmachts- und Parteiangehörigen wurde mit dem Erlass vom 22. Juni 1942 auf alle Homosexuellen ausgedehnt. Die Forschungen von Thomas Roth zur Verbrechensbekämpfung durch die Kölner Kriminalpolizei, veröffentlicht im Band 7 der Schriften des NS-Dokumentationszentrums der Stadt Köln, erleichterten eine Personen- und Strukturanalyse der Kripoleitstelle Köln, so dass Müller die verantwortlichen Dienststellen in den sich verändernden Strukturen herausarbeiten konnte.

Mit der "vorbeugenden Verbrechensbekämpfung" stand der Polizei ein Maßnahmenkatalog zur Verfügung, der schließlich eine planmäßige Überwachung des einzelnen "gefährlichen" Homosexuellen ermöglichte. Die Auflagen, die der Haftentlassene zu erfüllen hatte, wie etwa Meldepflicht, Abgabe des Reserve-Haustürschlüssels an die Polizei oder das Verbot, sich den meistfrequentierten Orten zu nähern, war auf den jeweiligen "Straftätertypus" zugeschnitten. "Entscheidend war der psychologische Effekt", der stets eine Kontrolle erwarten ließ. Müller kann anhand zahlreicher Beispiele nachweisen, dass für die Verhängung der "Polizeilichen Vorbeugehaft", die die Feststellung der "Gemeingefährlichkeit" oder "asozialen Verhaltens" voraussetzt, oftmals aus der Luft gegriffene Verdächtigungen genügten. Deutlich wird, wie die so genannte "freiwillige Entmannung" in Wirklichkeit durch großen Druck der Kriminalbeamten auf die Inhaftierten zustande kam.

Müller stellt alle Instrumentarien der Verfolgung stets in den Kontext der nationalsozialistischen Rassen- und Bevölkerungsideologie. Das erlaubt Schlussfolgerungen zum Erfolg der Maßnahmen. Leider ist eine übersichtliche statistische Darstellung der Kölner Verfolgungszahlen auf Grund des großen Aktenverlusts unmöglich.

Die Initiative zur Erforschung der Verfolgung homosexueller Männer geht meistens von engagierten schwulen Laienhistorikern aus. Das ist lobenswert, führt aber leicht zu einer Verirrung im Dickicht der juristischen Argumentationen und Bezugspunkte. Wer auch immer sich künftig auf den schwierigen Weg des Aktenstudiums begeben wird, dem ist Müllers Untersuchung wärmstens als Lotse für die sachgerechte Beurteilung der Fakten anempfohlen.




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