Angela Steidele:
"Als wenn Du mein Geliebter wärest".
Liebe und Begehren zwischen Frauen in der deutschsprachigen Literatur 1750-1850

Stuttgart: Verlag J.B. Metzler 2003, 390 S., € 46,30

Rezension von Sabine Puhlfürst, München

Erschienen in Invertito 5 (2003)

Um es gleich vorwegzunehmen: Angela Steidele hat mit ihrer bei Metzler veröffentlichten Dissertation eine wissenschaftlich fundierte, facettenreiche und äußerst informative Untersuchung geschrieben, mit der sie eine weitere Lücke in der literaturwissenschaftlichen Forschung über frauenliebende Frauen geschlossen hat.

Seit Mitte der 1970er Jahre sind wichtige Werke über Frauenliebe erschienen - hervorzuheben ist vor allem Lilian Fadermans breit rezipiertes Werk Surpassing the love of men. Romantic friendship and love between women from the Renaissance to the present (1981), mit dem die erste umfangreiche kulturhistorische Studie über Beziehungen zwischen Frauen vorlag. Steideles Arbeit knüpft an die Thesen der "social construction theory" an und fragt, wie zwischen 1750 und 1850 veröffentlichte deutschsprachige literarische Texte Liebe und Begehren zwischen Frauen darstellen. Ihr Interesse richtet sich dabei auf literarische Erscheinungsformen, narrative Strukturen und textuelle Strategien mit dem Ziel, diese innerliterarischen Phänomene in eine Verbindung mit dem jeweiligen soziokulturellen Kontext zu bringen. Der Schwerpunkt der Untersuchung liegt auf literaturwissenschaftlichen Einzelanalysen unterschiedlicher Textgattungen (Briefe, Versepen, Dramen, Romane, Gedichte). Dennoch ist die Arbeit keine rein literaturwissenschaftliche, denn die Autorin stellt die Texte, die in ihrer Gesamtheit vorsichtig als literarischer Diskurs verstanden werden sollen, in einen Kontext mit verschiedenen anderen Diskursen der Zeit, etwa dem juristischen oder dem Diskurs der Liebesehe. Der Fokus gilt zwar der Literatur, ihrer Sprache, ihren Bildern, die sie von der Liebe zwischen Frauen entwirft, aber gleichzeitig untersucht Steidele auch den sozial bedingten historischen Wandel von Frauenbeziehungen, der sich innerhalb der einhundert Jahre ihres Bearbeitungszeitraums konstatieren lässt, was sie unter anderem auch anhand einer genauen Analyse der Sappho-Rezeption verdeutlicht.

Steidele wählte den Zeitraum von 1750 bis 1850 aus mehreren Gründen aus. Zwar taucht Frauenliebe bereits vor 1750 in der deutschsprachigen Literatur auf, aber gerade der Zeitraum 1750 bis 1850 ist in Europa und Deutschland mit Aufklärung, Entstehung des Bildungsbürgertums, beginnender Industrialisierung und Urbanisierung eine Epoche der Umwälzungen, die auch an den Diskursen über Begehren zwischen Frauen festzumachen ist. Zudem wurde 1721 mit Catharina Margaretha Linck vermutlich letztmalig in Deutschland eine Frau wegen Unzucht mit einer Frau hingerichtet. Durch das Strafgesetzbuch für die Preußischen Staaten von 1851 wurden erstmals homosexuelle Handlungen von Männern und von Frauen unterschiedlich strafrechtlich bewertet: Weibliche Homosexualität stand im Gegensatz zu männlicher in Preußen nicht mehr unter Strafe (das bayerische Strafgesetzbuch von 1813 sah hingegen auch keine Bestrafung für mannmännliche Sexualität mehr vor).

So hatten die grundlegenden Veränderungen von Familie und Ehe, die Mitte des 18. Jahrhunderts einsetzten, tief greifende Auswirkungen auf die Konzeption der Frauenliebe. Zuletzt erscheint dieser Zeitraum aber auch im Hinblick auf eine Untersuchung zu Geschlechter-Konstruktionen bedeutend. Bezug nehmend auf den US-amerikanischen Historiker Thomas Laqueur weist Steidele ihrem Bearbeitungszeitraum eine zentrale Bedeutung zu, da das seit der Antike bestehende Ein-Geschlecht-Modell im 18. Jahrhundert vom Zwei-Geschlechter-Modell abgelöst wurde, so dass in der Folge die Neupositionierung der Geschlechter zu einem Hauptthema gesellschaftlicher und kultureller Diskussionen wurde. Auch literaturgeschichtlich ist der untersuchte Zeitraum interessant, da sich in dieser Zeit ein literarischer Markt mit Verlagen sowie das Pressewesen etablierten.

Steidele stellt ihrer Studie zunächst ein Überblickskapitel voran, in welchem sie den "Diskurs über Unzucht zwischen Frauen im 18. und 19. Jahrhundert" - so die Kapitelüberschrift - im deutschsprachigen Raum näher skizziert, um den historischen Hintergrund zu beleuchten, vor dem literarische Texte über die Frauenliebe publiziert wurden.

Die literaturwissenschaftliche Analyse beginnt mit der Untersuchung des Freundschafts- und Briefkults des 18. Jahrhunderts am Beispiel von Luise Gottsched (1713-1762), Ehefrau und unentbehrliche Mitarbeiterin von Johann Christoph Gottsched, dessen Sprach-, Literatur- und Theaterreformen ohne sie nicht denkbar wären. Ihre Briefe und Gedichte, vor allem an Dorothee Henriette von Runckel (1724-1800), lassen den Begriff der Freundschaft als eine frei gewählte Bindungsform, in welcher beide PartnerInnen gleichberechtigt sind, erscheinen: Es handelt sich gleichsam um eine überaus intensive und intime Bindung, die durchaus mit der um 1800 aufkommenden romantischen Liebesehe verglichen werden kann. Freundschaft erscheint so als eine Art historisch vorgegriffene Liebesehe und entwickelt sich quasi zur Chiffre für gleichgeschlechtliches Begehren. Steidele interpretiert in diesem Sinne Gottscheds Briefe an Runckel als das erste umfangreiche Zeugnis von Frauenliebe im deutschsprachigen Raum.

Im folgenden Kapitel geht Steidele ausführlich auf die für ihren Untersuchungszeitraum äußerst ergiebige Rezeption Sapphos in wissenschaftlichen und literarischen Arbeiten ein. Dabei konstatiert sie ein sich wandelndes Sappho-Bild, dessen Veränderung mit dem Begriff der Entsexualisierung umschrieben werden kann: Zunächst gilt Sappho Mitte des 18. Jahrhunderts den ZeitgenossInnen als Frau mit skandalösem Trieb; spätestens mit Johann Gottfried Herder (1774), der die Leidenschaftlichkeit ihrer Gedichte nivelliert und ihre Liebesbeteuerungen an Frauen umadressiert an Männer, beginnt das, was Steidele die Zähmung bzw. Domestizierung Sapphos nennt. Deshalb kann es sich Anna Louisa Karsch (1722-1791) noch leisten, sich in ihren Gedichten mit Sappho zu identifizieren, ohne Sanktionen befürchten zu müssen; doch stellt Steidele einschränkend fest, dass sowohl Luise Gottsched als auch Anna Louisa Karsch niemals gegen die "heteronormative Hegemonie" verstießen, denn weder die verheiratete Gottsched noch die zweimal verheiratete Karsch bedrohten durch ihre Liebe zu einer Frau das soziale Gefüge. Interessante Erkenntnisse gewinnt Steidele auch aus ihrer Analyse zweier Werke von Amalie von Helvig (1776-1831), Nichte Charlotte von Steins. Ihr Versepos Die Schwestern auf Lesbos (1800/1801) sowie die dramatischen Idylle Die Schwestern auf Corcyra (1812) können als sehr frühe Beispiele für Camouflage bezüglich der Frauenliebe in der deutschsprachigen Literatur gelten. Steidele deutet die Verwendung dieses Stilmittels aber auch als Hinweis darauf, dass sich Frauenliebe in der Literatur um die Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert verstecken muss. Als Beleg führt sie die zeitgenössische Rezeption der beiden Werke an, die der Autorin u.a. von Seiten Caroline und Friedrich Schlegels, aber auch Clemens Brentanos Beleidigungen und Spott einbrachte. Eine Analyse der wohl berühmtesten Adaption des Sappho-Stoffes, Franz Grillparzers (1791-1872) Trauerspiel Sappho (1818), das als Höhepunkt der Sappho-Bearbeitungen des 19. Jahrhunderts gilt, ergibt, dass Grillparzer im Gegensatz zu Helvig Sappho aus der bürgerlichen Gesellschaft ausstößt und sie als frauenliebende Frau zum ersten Mal mit Anschuldigungen der Aussätzigkeit konfrontiert. Konsequenterweise muss Sappho am Ende sterben.

In zwei weiteren Kapiteln untersucht Steidele unter der Überschrift "Frauenliebe im Umbruch" und "Frauenliebe im Rückzug" mehrere Romane, darunter mit Julchen Grünthal (1798), Albert und Albertine (1804) sowie Bekenntnisse einer schönen Seele (1806) drei Romane der zu ihren Lebzeiten erfolgreichen und bekannten Schriftstellerin Friederike Helene Unger (1751-1813).

Die Analyse der Romane erfolgt vor dem Hintergrund der Neudefinition der Ehe um 1800: Aus der juristischen und ökonomischen (Vernunft-) Ehe entwickelt sich die Liebesehe. Diese Neukonzeption hatte großen Einfluss auf die Vorstellungen von der Frauenliebe, denn die Liebesehe löste nun die Freundschaft als intimstes zwischenmenschliches Band ab, wodurch diese nur noch einen untergeordneten Teil des Emotionsspektrums bildete. Dies spiegelt sich auch in den Romanen wider: Während in den beiden erstgenannten Romanen Ungers am Ende eine größere Gruppe von Menschen glücklich vereint zusammenlebten, wobei in dieser Gemeinschaft dann auch Platz für eine enge Frauenbeziehung ist, steht am Ende von Bekenntnisse einer schönen Seele das erste glückliche Frauenpaar in einem deutschsprachigen Roman; das Modell der Liebesehe als ideologische Maxime des Glücks hat damit die Frauenliebe erreicht. Eine genaue Analyse der in den Romanen verwendeten textuellen Strategien erbringt aber auch, dass an ein offenes Sprechen über Frauenliebe nicht mehr zu denken ist: Die Autorinnen unterlaufen dies durch die Kreation von Subtexten. Mit Hilfe der strukturellen Ironie, mit der konservative Aussagen unterlaufen werden können, der Intertextualität sowie durch das Spiel mit Andeutungen, Verfremdung und Chiffren gelingt es, die lesbische Liebe im Text quasi zu verstecken. Einen Höhepunkt dieses Versteckspiels stellt Therese Hubers (1764-1829) Roman Die Ehelosen (1829) dar, denn Frauenliebe ist hier nurmehr ein prekärer Gegenstand, der allenfalls in Andeutungen skizziert werden darf. Im Vergleich zu den um 1800 verfassten Romanen herrscht das Tabu vor, was aus heutiger emanzipatorischer Sicht als Rückschritt erscheinen mag, aber durch die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen erzwungen ist. So führt Steidele als Beleg die Skandale um August von Platen und seine homoerotischen Sonette aus Venedig (1825) an. Zwar handelt es sich in diesem Fall um Männerliebe, aber dass mittlerweile auch (zu) enge Frauenfreundschaften Verdacht erregten, zeigt ein Brief Ottilie von Goethes von 1833, in welchem diese sich abfällig über eine Frauenbeziehung äußert. Laut Steidele handelt es sich um die früheste negative Äußerung einer Frau über die Liebe zwischen zwei Frauen, die durch den Verdacht sexuellen Begehrens diskreditiert wird.

In diesem Roman taucht auch zum ersten Mal die Verbindung Frauenliebe-Krankheit-Tod auf, die sich dann zum weitverbreiteten Phänomen in der europäischen Literatur zur Frauenliebe seit dem 19. Jahrhundert entwickelte und sich auch im Medium Film des 20. Jahrhunderts etablierte. Es fällt bei dieser Motivgeschichte auf, dass frauenliebende Frauen in der Literatur erst dann als krank bezeichnet wurden, als Frauen begehrende Frauen die Möglichkeit hatten, das weibliche Rollenmodell abzulehnen und so die Grundfeste der Gesellschaft zu erschüttern. Damit wendete sich die zunehmende Tabuisierung der Frauenliebe weniger gegen die (wenigen) Frauen/Freundinnen, die sich liebten, sondern gegen die damit verbundene Autonomie von Frauen und ihre gleichgeschlechtlichen Beziehungen, die männliche Herrschaftsansprüche in Frage stellten. Steidele kommt hier zu einem Schluss, zu dem bereits Faderman, wenn auch auf anderen Wegen, gelangte.

In den letzten beiden Kapiteln stehen mit Bettine von Arnim (1785-1859) und Annette von Droste-Hülshoff (1797-1848) zwei der bekanntesten deutschsprachigen Schriftstellerinnen im Fokus der literarischen Analyse. Unter der Überschrift "Frauenliebe als Utopie" untersucht Steidele drei Briefromane von Bettine von Arnim: den so genannten "Günderode-Brief", ein kleinerer Ausschnitt aus Goethes Briefwechsel mit einem Kinde (1835), Die Günderode (1840) sowie Clemens Brentano's Frühlingskranz (1844). In allen drei Texten ist die Frauenliebe ein bedeutendes Thema, wobei sich eine Entwicklungslinie abzeichnet, welche die Potentiale der Frauenliebe mehr und mehr betont. Zudem macht Bettine von Arnim aus der Frauenliebe in Die Günderode ein Symbol des Widerstands gegen die bürgerlich-reaktionäre Herrschafts- und Gesellschaftsordnung: Frauenliebe wird so zur Opposition.

Davon kann bei Annette von Droste-Hülshoff keine Rede sein. Dennoch thematisiert auch sie, wie Steideles Kapitelüberschrift es formuliert "Frauenliebe diskret", aber auf eine derart versteckte Weise, dass Steidele ihren Werken ein bis dahin nie gekanntes Niveau der Camouflage zur Frauenliebe konstatiert. Droste-Hülshoff verrätselt das subtextuelle bzw. codierte Sprechen über die Frauenliebe so sehr, dass die Chiffren schließlich ihre Bedeutung verlieren, weil sie nicht mehr dechiffrierbar sind. In ihrer Ballade Das Fräulein von Rodenschild (1841) arbeitet sie zudem mit dem Gespenster- und Vampirmotiv, um gleichgeschlechtliches Begehren darzustellen. Die Verwendung dieses Gespenstermotivs in einer Gesellschaft, die allmählich den Begriff und die Idee der Homosexualität und damit auch Homophobie zu entwickeln beginnt, deutet laut Steidele an, dass dieses Motiv ein in der Zukunft häufig verwendetes sein wird, um gleichgeschlechtliches Begehren auf eine Weise darzustellen, welche die AutorInnen unangreifbar macht. Im Vampirmotiv hingegen spiegelt sich die Sexualität, verbunden mit der Angst davor - im Übrigen ein Motiv, das bis in die heutige Zeit zur Darstellung gleichgeschlechtlichen Begehrens verwendet wird.

In ihrer Zusammenfassung hält Steidele als eine der auffälligsten Parallelen in den untersuchten Werken die Konzeption der Frauen begehrenden Figuren fest, denn in den meisten Texten sind die Protagonistinnen als weibliche Figur mit männlichem "gender" konzipiert, d.h. die Frauen tragen Züge, die in ihrer Epoche als männlich gelten, wobei die Figuren nicht als gebrochen, sondern ganz im Gegenteil als stark gezeichnet werden. Die männliche Konnotierung scheint laut Steidele vor dem Hintergrund eines heteronormativen Sexualitätsverständnisses logisch. Bezug nehmend auf Judith Butler und deren Idee vom "lesbian phallus" (um sexuell begehren zu können, muss eine der Partnerinnen "männlich"/ "phallisch" werden) stellt Steidele die These auf, dass der antike Entwurf der "phallischen Tribade" eine der Grundlagen für die Frauenliebe-Konstruktion zwischen 1750 und 1850 wie auch für die "butch-femme"-Konzeption des 20. Jahrhunderts bildet und dass die Idee der "männlichen Lesbe" eine seit der Antike vertraute Konzeption ist, die nicht erst Anfang des 20. Jahrhunderts erfunden wurde. Diese These ist sicherlich sehr gewagt und lässt sich kaum halten, entstand doch die Idee der gleichgeschlechtlichen Liebe als Wesensmerkmal erst im 19. Jahrhundert, und die der Lesbe ist erst seit den 1970er Jahren ein Begriff.

Steidele weist aber auch darauf hin, dass das Bild von der "männlichen Frau" nicht das einzige Bild der frauenliebenden Frau um 1800 gewesen ist, womit es unmöglich erscheint, von einer bzw. der lesbischen Identität zu sprechen.

Als Fazit bleibt, dass Steideles Arbeit überaus lesenswert ist. Der Autorin ist es durch die Herstellung entsprechender Verknüpfungen, durch die Struktur der Kapitel, die jeweils in einer Zusammenfassung münden, sowie durch sprachlich brillante Formulierungen gelungen, eine wissenschaftliche Untersuchung abzuliefern, die durch ihre Übersichtlichkeit und detaillierte Analyse besticht, zugleich aber - was man leider bei fachwissenschaftlicher Literatur noch allzu selten findet - spannend und mit Vergnügen zu lesen ist.




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