Karl-Heinz Steinle:
Der Literarische Salon bei Richard Schultz.

Hg. vom Schwulen Museum Berlin, Berlin: Querverlag 2002, 120 S., zahlreiche Abbildungen, € 12,50

Rezension von Herbert Potthoff, Köln

Erschienen in Invertito 4 (2002)

Richard Schultz wird 1889 in Rehna, Mecklenburg geboren. 1919 kommt er nach Berlin, findet im Hotel Bristol eine Stelle als Kellner und arbeitet sich zum Chef de rang hoch. Nach dem Krieg wird Schultz Oberkellner im Clubhaus des Kulturbunds zur demokratischen Erneuerung Deutschlands. Seine berufliche Laufbahn beendet er 1954 als Kellner im Hotel Kempinski, Berlin. Er stirbt 1977 in Bebenhausen bei Tübingen.

Wie es scheint, ein wenig spannendes, normales Leben - aber so normal nun doch nicht. Richard Schultz ist homosexuell. Er engagiert sich in der Homosexuellenbewegung der Weimarer Republik und wird Mitglied der Gemeinschaft der Eigenen um Adolf Brand. Ab Anfang der 20er Jahre organisiert er in seiner Wohnung in Berlin-Charlottenburg Zusammenkünfte, die in unterschiedlicher Form und Beteiligung bis kurz vor seinem Tod stattfinden. Inhaltlich geht es um homosexuelle Kultur, besonders Literatur und Kunst. Anfangs treffen sich Gleichgesinnte in lockerem Rahmen, ab 1933 werden allerdings besondere Sicherheitsvorkehrungen eingehalten. Seitdem wird auch eine zusätzliche Funktion dieser Treffen zunehmend wichtig: der Austausch von Neuigkeiten und die Entwicklung gemeinsamer Handlungs- und Schutzstrategien. Hausdurchsuchungen bei Adolf Brand, der Selbstmord eines Freundes nach einem Verhör, Verhaftungen im Bekanntenkreis, die Emigration von Freunden, die ständige Gefahr, selbst verhaftet zu werden - die NS-Diktatur greift unmittelbar in das Leben von Richard Schultz und seinen Freunden ein. Bemerkenswert ist, dass es ihnen dennoch gelingt, sich Freiräume zu erhalten, in denen Geselligkeitsbedürfnisse befriedigt und zugleich homosexuelles Leben und homosexuelle Kultur diskutiert und damit bewahrt werden können.

Nach dem Krieg schließt sich Richard Schultz der Gesellschaft für die Reform des Sexualrechts an und organisiert weiter die Treffen in seiner Wohnung, die sich in den 50er Jahren zu einem regelrechten Literarischen Salon entwickeln. Richard Schultz und seine Freunde bilden so das lebendige Verbindungsglied zwischen der Homosexuellenbewegung der 20er und der frühen 50er Jahre.

Die Dokumente dieses außergewöhnlichen Lebens befinden sich im Besitz von Hans Haug, der Richard Schultz in den letzten Lebensjahren betreut und schließlich bei sich aufgenommen hat. Hans Haug ermöglichte Karl-Heinz Steinle, dem Verfasser des vorliegenden Bandes und langjährigen Mitarbeiter des Schwulen Museums Berlin, das umfangreiche Material einzusehen und unterstützte ihn bei der Ordnung und Auswertung. Aufgrund dieses Materials gelingt es Steinle, ein lebendiges, faszinierendes Bild zu zeichnen: Richard Schultz, seine Privatwohnung und sein Literarischer Salon im "Zentrum eines von Kontinuität und Solidarität charakterisierten Netzwerkes", gay community im eigentlichen Wortsinn. Diesem Netzwerk gehörten hauptsächlich, aber nicht nur männerliebende Männer an; es ermöglichte ihnen, trotz Diskriminierung und Verfolgung ein Leben als selbstbewusste Homosexuelle zu führen. Steinles besonderes Verdienst ist es, durch behutsame Interpretation und zusätzliche Recherchen einer Schwierigkeit entgegenzuwirken, die Nachlässe homosexueller Männer und Frauen nicht selten bieten: Sie sind von eindeutig homosexuellen Inhalten gereinigt, vom Erblasser selbst oder von den Erben. Steinles Darstellung, Begleitband zu einer gleichnamigen Ausstellung im Schwulen Museum, ist mit zahlreichen Abbildungen und Dokumenten aus dem Nachlass von Richard Schultz angereichert; sie kann nur wärmstens empfohlen werden.




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