Margit Göttert:
Macht und Eros. Frauenbeziehungen und weibliche Kultur um 1900 -
eine neue Perspektive auf Helene Lange und Gertrud Bäumer

Königstein: Ulrike Helmer Verlag 2000, 340 S., € 24,50

Rezension von Wiebke Johannsen, Hamburg

Erschienen in Invertito 4 (2002)

"Es ist für spätere Generationen vielleicht kaum möglich, zu werten, welches Maß von geistiger Arbeit die sichere Fundierung der Frauenbewegung erfordert hat. Eine größere als jede andere soziale Bewegung. Denn es gab ja kein Sachgebiet und keine seelische Lebensfrage, die nicht berührt, keine geistigen Kräfte, die nicht für diesen großen Umbau des Frauenschicksals positiv oder negativ wirksam wurden" (150f). So blickt Gertrud Bäumer (1873-1954) 1933 zurück auf Leben und Werk - und beides erscheint uns als Einheit. Zu Bäumers "sicherer Fundierung" und zur prägenden Kultur der Bewegung zählte in jedem Fall ihre Lebenspartnerschaft mit Helene Lange (1848-1930), der viel Geehrten, eine der ganz wenigen Aktivistinnen der ersten deutschen Frauenbewegung, nach der Schulen und Straßen benannt wurden. Bäumer und Lange waren das wohl berühmteste Paar der Bewegung, ein machtvolles und mythisches Paar, "Regierende Königin" und "Königinmutter", wie Bäumer und Lange ab etwa 1910 von Mitkämpferinnen und Freundinnen tituliert wurden. (Intern ist Lange für die jüngere Bäumer "der Meeschter".) Beide repräsentieren die zweite, die "heroische Generation" der Frauenbewegung und sie selbst inszenierten ihre generationenübergreifende Lebens- und Arbeitsgemeinschaft als modell- und symbolhaft.

Wie nun nähert sich die Autorin "weiblicher Kultur" und Gemeinschaft? Die "Wunschquellen" schweigen leider, sind zum Teil schon von den Beteiligten vernichtet (wie private Briefe), zum Teil gar nicht erst verfasst (wie Äußerungen zur lesbischen Liebe) und fielen vor allem dem Kriegsgeschehen zum Opfer (wie die Nachlässe Bäumers und Langes in Schlesien.) Die Soziologin Göttert zieht einen weiten, spannungsreichen und überaus anregend-farbigen Bogen: von Kritik und Wünschen der modernen Frauen- und Lesbenbewegung an das Paar, über ausführliche biographische Auskünfte und Untersuchungen zu Funktion und Art von Frauenfreundschaft, Netzwerken und "Führerinnentum", Annäherungen an "(Körper-)Erfahrung und (sexuelle) Identität", bis hin zur Schlussfolgerung, dass die gemäßigte Frauenbewegung in Deutschland an ihrer Vorstellung eines wesensmäßigen Unterschiedes der Geschlechter krankte. Auch die Beschwörung von Frauenliebe und Frauengemeinschaft vermochte hier keine Abhilfe zu schaffen.

Differenz und Hierarchie waren aber auch innerhalb der Bewegung präsente und prägende Begriffe. Keineswegs waren sie - wir heutigen "Frauen/Lesbenbewegten" mögen uns verwundert die Augen reiben - spät entdeckt oder ungeliebt, sondern das weibliche Paar von erfahrener, charismatischer Führerin und sie verehrender Freundin war Vorbild und Modell. Göttert zieht die Parallele zur Luce Irigaray, den italienischen Philosophinnen und dem "Affidamento-Konzept" einer weiblichen Kultur und weiblichen Genealogie.

Gretchens Frage zum Schluss: Wie hielten es die Damen mit dem Begehren? Das Begehren nach der Frau ist zum einen Inspirations- und Produktivkraft - das Bild des pädagogischen Eros wurde damals auch von Frauen bemüht. Göttert betont die Notwendigkeit, dieses Begehren wach zu halten. In jedem Fall war Frauenfreundschaft auch Komplizenschaft, hilfreiche Verschwörung gegen patriarchale Zumutungen in rechtlosen Zeiten. Eine Einsortierung in heutige homo/hetero-Denkmuster gelingt aber kaum. Dass die Aktivistinnen sich nicht mit dem in der Kaiserzeit entstehenden Begriff der lesbischen Liebe auseinander setzten, lag sicher auch an der Angst vor Repression und Stigmatisierung. Vor allem interessierten sich die Frauenrechtlerinnen aber nicht öffentlich für Liebe und Sexus, da derlei ins Private gehöre und sie nicht wünschten, via Etikett auf Natur- und Geschlechtswesen reduziert zu werden. Eine politisch gefasste lesbische Identität, die Begehren und Aufbegehren amalgamiert, gibt es erst seit der zweiten Frauenbewegung. So weicht die anfängliche Enttäuschung, zu der die Rezensentin sich bekennt, einer Bereicherung: so viel ist Freundschaft und jede Generation erfindet sie neu.




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